REZENSION ANDREAS WILINK
Die Tür fällt ins Schloss. Ein Lichtspalt öffnet sich zwischen den Vorhängen des Schlafzimmers und zeigt ein Bild von draußen. Der Mann, mit dem Isabelle soeben Sex hatte, verlässt die Wohnung. Sie ist allein – und wird es bleiben. Schön ist sie, erfolgreich in Paris als Malerin (eine großartige Rolle für Juliette Binoche). Es sieht aus, als könne sie die Dinge abschätzen und richtig einschätzen. Aber nicht, wo es um ihr Empfinden, ihr körperliches und seelisches Liebebedürfnis, ihre Sehnsucht und verzweifelte Suche nach Nähe geht. »Schwermut ist Traumzustand der Ichsucht«, hat Cioran geschrieben. Das würde passen.
Voilà! Wie lassen sich ihre Erwartungen synchronisieren? Soll man sich einander ausliefern – und wenn, wie geht das? Wie den Widerspruch von Fühlen, Sprechen, Handeln und Sein aufheben? Wie ausscheren aus dem Sich-im-Kreis-Drehen der Worte und unsinnigen Aktionen? Lady sings the Blues.
Isabelle hat eine zehnjährige Tochter mit dem älteren abgeklärten François, zu dem sie aber nicht zurückfindet. Die Affäre mit dem verheirateten Banker Vincent Briot (Xavier Beauvois) – reich, unangenehm, zynisch, herablassend und siegesgewiss – beendet sie abrupt. Für den jüngeren narzisstischen Schauspieler (Nicolas Duvauchelle), der keine Routine erträgt und das Verlangen nach Intensität irgendwie in seine Unreife einbaut, ist der Reiz des »Vorher« größer als das Gestalten des »Nachher«. In einer Bar, wo sie mit Künstler- und Galerie-Freunden sitzt, hat sie auf der Tanzfläche, wie aus dem Nichts heraus, eine intensiv intime Begegnung mit einem Mann, Sylvain (Paul Blain), aus einem ganz anderen sozialen Milieu. Das funktioniert ebenso wenig wie ihr Bindeversuch mit einem Kollegen (Alex Descas). Jeder scheint im Hintergrund der Beziehung zu Isabelle ein anderes (geheimes) Leben, andere Freunde, Familie, Vorbehalte, Verquerheiten, Neigungen zu haben. Sie aber befindet sich in Abhängigkeit, mehr zu dem Gefühl selbst als zu den Gefühlsträgern.
»Mein Ideal einer Geschichte ist eine Frau, die sich in einer Krise befindet«, sagte der Feminist Pedro Almodóvar. Der Satz gilt auch für Claire Denis und diesen Film mit seinem genauen, schmerzintensiven Porträt. Isabelle scheitert bis zuletzt – nämlich in dem wie ein Epilog inszenierten Gespräch mit einem Wahrsager, der für sie das Pendel befragt. Aber das zu Therapiezwecken aufgesuchte Orakel (Gérard Depardieu) weiß offenbar für sich selbst in der Liebe auch keine Lösung. Wie auch! Es ist schade um die Menschen.
»Meine schöne innere Sonne«; Regie: Claire Denis; F 2017; 94 Min.; Start: 14. Dezember 2017