Wir müssen teilen – aber wie? Volker K. Belghaus inspiziert ein Gerät mit Schneidedrähten.
Die Berliner haben es drauf, was rustikale Umschreibungen für Gebäude und Gegenstände angeht. Die Kongresshalle wird bei ihnen zur »schwangeren Auster«, der Brunnen der Völkerfreundschaft auf dem Alex zur »Nuttenbrosche«. Auch vor Haushaltsgeräten macht man nicht halt – der handelsübliche Eierschneider wird unter Pfitzmann-Berlinern auch »Eierharfe« genannt. Grund sind seine straff gespannten Schneidedrähte, auf denen sich tatsächlich mit etwas Geschick einige dürre Töne entlocken lassen.
Erfunden hat den Eierschneider der Berliner Willy Abel, der die Brotschneidemaschine ebenfalls konstruiert hat. 1900 hatte er die erste Idee, einige Jahre später wurden die Eierschneider aus Abels Harras-Werken zum Massenartikel – mehr als zehn Millionen Stück verließen die Fabrik. Das Prinzip ist so einfach wie genial: Hartgekochte Eier lassen sich aufgrund ihrer weichen Konsistenz nur ungünstig in gleichmäßige Scheiben schneiden. Deshalb werden die gepellten Eier – mit Schale gibt das eine unschöne Sauerei – in eine sanfte Mulde gelegt. Ein schwenkbares Oberteil, in dem dünne Stahl-Saiten gespannt sind, wird von oben auf das Ei gedrückt, teilt es scheibchenweise und verschwindet in den eingefrästen Aussparungen der Mulde. Wer statt Scheiben Würfel bevorzugt, dreht das geteilte Ei um 90 Grad und drückt erneut die Schneidedrähte hinunter.
Der Eierschneider ist bis heute in seiner schönen analog-industriellen Form erhältlich. Ein reines Werkzeug für die Küche, ohne Bluetooth-Verbindung zum Mobiltelefon. Ohne eine App, die meldet, wie viele Eier bereits geschnitten sind, um online im Supermarkt Exemplare nachzubestellen, gleichzeitig vor dem Cholesterin warnt und das Ganze an die Krankenkasse petzt. Sondern ein Küchengerät, das noch ein ganzes Leben hält, auch wenn der Lack hier und da abplatzt und das eine wohlige Erinnerung an die Esskultur der 50er und 60er Jahre hervorruft. Im Wirtschaftswunder wurde garniert und dekoriert, dass es eine Pracht war; man denke an die Rotten von Mettigeln und die Fliegenpilze aus Tomaten auf deutschen Buffets! An pittoreske kalte Platten, an Schüsseln voller Nudel- und Kartoffelsalat! Wie wenig akkurat hätte das ausgesehen ohne den Eierschneider, dem Wunder hiesigen Ingenieurschaffens!
Neben der unverwüstlichen Metallvariante sind Modelle aus quietschbuntem Kunststoff erhältlich; teils erweitert durch eine Art Trichter, in dem das hartgekochte Ei aufrecht gestellt wird, um es in Sechstel zu teilen. Wagemutige können Eierschneider in Zangenform verwenden, mit der man die Eier direkt über einer Schale teilen und hineinfallen lassen kann. Egal, welches Modell man benutzt, Abels Konstruktion ist nicht nur zeitlos, sondern auch extrem praktisch. Es lassen sich damit nämlich noch ganz andere Teile verarbeiten. Eine weiche Konsistenz muss natürlich vorhanden sein, deshalb nutzen clevere Köche und Köchinnen das Gerät auch zum Teilen von Mozzarella oder Champignons. Alle anderen können versuchen, darauf das Harfenkonzert von Georg Friedrich Händel nachzuspielen. Oder sie bestellen sich im Internet direkt den Eierschneider in Gitarrenform, dessen Schneidedrähte gleichzeitig die Saiten sind.