REZENSION STEFANIE STADEL
Die Stirn liegt in Falten, der Blick könnte finsterer kaum sein – fast eine Grimasse. Als würde er gleich vor Wut platzen. So sieht sich Ferdinand Hodler im Selbstbildnis von 1881. Der 28-Jährige hält den Anlass für die überdeutliche Entrüstung wohl in Händen: eine Zeitung, die, wie zu vermuten, nicht zimperlich war mit der Kritik an seiner Malerei. Die Presse war ihm in diesen frühen Jahren nicht eben wohlgesonnen. Was Ruhm und Anerkennung angeht, muss er sich noch eine Weile ins Zeug legen – als Maler und Marketingstratege. Doch ab 1890 nimmt die Karriere Fahrt auf. Heute steht Hodler da als jemand, der den Impressionismus mit eigenen Mitteln überwunden hat und in seinem Symbolismus eine unverwechselbare Handschrift fand. Kurz bevor sich der Tod des Malers zum hundertsten Mal jährt und die Schweiz das »Hodler-Jahr« ausruft, holt die Bonner Bundeskunsthalle sich den Eidgenossen mit einer Überblicksschau ins Haus.
Bonn lässt kein Genre aus – Porträt, Landschaft, Figurenbild, alles kommt vor, sämtliche Phasen finden Platz. Nicht zuletzt interessieren dabei Hodlers persönliche Karriereplanung, das Eigenmarketing. Entlang der Bilder verfolgt man die Etappen der keineswegs vorhersehbaren Erfolgsgeschichte des früh verwaisten Sohns einer Köchin und eines Schreiners, der seine Laufbahn mit 14 Jahren als Lehrling einer Veduten-Werkstatt begann.
Das anschließende Studium an der Genfer Académie des Beaux-Arts brachte ihm die französische Pleinair-Malerei nahe. Von Anfang an ahnte Hodler, dass er einen »dornenvollen Weg zu beschreiten« habe, jedoch »sein Ziel erreichen und sehr weit gelangen werde«. Immer wieder machte er mit bei Wettbewerben, beteiligte sich an Ausstellungen, organisierte sogar selbst welche. Was dem geschickten Selbstvermarkter allerdings noch fehlte zum Fortkommen, war der fundamentale Bruch in seiner Kunst. Erst als er dem Naturalismus und den Plein-Air-Ansichten abschwor und mit seiner symbolistischen Ideenmalerei die Bühne betrat, stellte sich internationale Anerkennung ein.
Zu den frühen Bildern im neuen Look gehören seine »Lebensmüden« von 1892, die in Bonn durch eine jüngere Version vertreten werden. Fünf Greise sitzen parallel zum Bildrand auf einer Bank gereiht – alle in weiße Gewänder gehüllt und offenbar von Schwermut erfüllt. Neben den müden Alten steht eine ganze Reihe im Schwung des Jugendstils bewegter junger Frauen, die sich – inspiriert vom damaligen Ausdruckstanz – selbstzufrieden und beziehungslos in dekorativ stilisierten Landschaften umtun. Abgehoben auch die Themen, die sie verkörpern können: »Ergriffenheit« etwa und »Abendruhe«, »Bewunderung« oder »Linienherrlichkeit«. Auf einer mit roten Mohnblüten übersäten Wiese finden vier solcher von jugendlichem Liebreiz erfüllter Wesen, mehr oder weniger entblößt, zusammen. Blaue Tücher umspielen die ebenmäßigen Körper. »Empfindung« nennt Hodler das Gemälde.
Er liebt »Klarheit in seinen Gemälden«. Auch in die Landschaften zieht sie ein. Barbizon ist schnell vergessen. Als Symbolist verbannt Hodler Mensch und Tier aus seinen kühl kolorierten Seegefilden und majestätischen Bergmassiven. Regelmäßige Horizontstreifen und ein rhythmisches Wolkenspiel machen die Ordnung perfekt. Das wirkt modern: An die Stelle tiefenräumlicher Perspektive treten große Flächen, klare Konturen, Vereinfachung. Eigenheiten, die Hodlers Malerei in die Nähe der Nabis rücken. Sammler avantgardistischer Kunst, darunter viele deutsche, erkannten die Neuigkeit in Hodlers Kunst und erwarben seine Werke. Allen voran Karl Ernst Osthaus, der 1905 zugriff – Hodlers »Frühling« fand damals als erstes Werk in eine deutsche Sammlung.
Den Höhepunkt des Erfolgs in Deutschland markierten zwei Aufträge für Wandbilder im Hannoveraner Rathaus und in der Universität zu Jena, für die er ab 1908 den »Auszug der deutschen Studenten in den Freiheitskrieg von 1813« fünfeinhalb Meter lang inszeniert. Aus der Uni-Aula ist das Riesenwerk nach Bonn gekommen. Ungewöhnlich, wie sich das Geschehen auf zwei Längsstreifen verteilt. Während in der oberen Ebene Soldaten im Gleichschritt vorbeiziehen, sieht man unten jungen Männern mit Pferden bei den Vorbereitungen zu und bemerkt, dass auch dieses Historienbild weniger durch die Handlung und das dramatische Geschehen geprägt ist, als vielmehr von der konsequenten Komposition in striktem Parallelismus von Gestalten und Bewegungen.
»Monumente einer ausdrucksgeladenen Architektur« suchte er zu schaffen. Ein Vorsatz, der in Bonn immer wieder aufscheint. Hinter Historien, bei den »Lebensmüden«, im Selbstporträt. Sogar mit Blick auf Berge, Bäume und Seen.
BUNDESKUNSTHALLE, BONN; BIS 28. JANUAR 2018; TEL.: 0228 / 9171