REZENSION STEFANIE STADEL
Den kleinen Finger abgespreizt, hoch die rechte Augenbraue. Selbstbewusst setzt er sich 1910 in Szene; im Gehrock und mit Zylinder auf dem Kopf: Wilhelm Morgner gefällt sich als Dandy. Könnte das Selbstporträt des gerade mal 19-Jährigen sprechen, würde es vielleicht sagen: »Hier bin ich, ich bin großartig. Von Euch Spießern lass ich mir meine Kunst nicht schlecht reden.« Klingt hart. Doch hat der junge Mann immer wieder in ähnlichem Ton gegen seine Mitbürger in Soest gewettert, weil sie seine Malerei nicht verstehen konnten oder wollten.
Natürlich hat sich das Verhältnis längst gebessert. Inzwischen hätschelt die Stadt ihren Super-Sohn, der mit nur 26 Jahren im Gemetzel des Ersten Weltkrieg den Tod fand und in der kurzen Zeit davor ein nicht sehr bekanntes, aber ganz erstaunliches Werk geschaffen hat. Bereits 1931 kaufte Soest groß ein bei Morgners Mutter, weitere Erwerbungen sollten folgen. Heute ist der stolze Bestand von 60 Gemälden und über 400 grafischen Arbeiten im städtischen Museum untergebracht, das Morgners Namen trägt. Den 100. Todestag des Patrons begeht man in frisch sanierten Räumen mit einer Ausstellung, die den Maler – trotz seiner jugendlichen Antipathie-Bekundungen – als Kind der Stadt feiert.
Es geht um Morgner, um Soest und um den Expressionismus, dessen Vertreter
sich offenbar sehr wohl fühlten im westfälischen Idyll. Emil Nolde und Karl Schmidt-Rottluff kamen her und malten. Besonders angetan von Soest war Christian Rohlfs, der schwärmte: »Noch ganz eine mittelalterliche Stadt, ein herrliches Nest.« Die Schau gibt Kostproben der künstlerischen Streifzüge. Kirchen, Türme, Gassen malten die Meister, wobei ihnen der jüngere Morgner und seine Soester Künstler-Kumpels sicher zuweilen über die Schulter schauten.
Die Weggefährten heißen Eberhard Viegener, Wilhelm Wulff, Arnold Topp, sind wie Morgner um 1890 in Soest geboren und haben im Expressionismus ihre kreativen Wurzeln geschlagen. Alle drei sind ebenfalls in der Ausstellung vertreten. Doch Morgner stiehlt ihnen die Schau. Wer diesen Ausnahmekünstler noch nicht kennt, kann eine echte Entdeckung machen. In einem Wahnsinnstempo erfasst Morgner die Sprachen der Avantgarde und gestaltet ganz eigene Kommentare zu van Gogh, zum Pointillismus, zu Kandinsky, zum Futurismus … Vorboten von Pop Art und Comic lassen sich in seinen knallbunten Bildern erkennen, und mit Blick auf strahlende Strichmännchen darf man an Keith Haring denken.
1913 wird Morgner zum Militär eingezogen und muss das Malen aufgeben. Als Soldat schafft er nurmehr grafische Arbeiten, zeichnet Bauern auf dem Balkan oder serbische Landschaften. Mit allen Mitteln macht er weiter. Eine »Große Kreuzigung« von 1917 ist die letzte bekannte Arbeit. Kurz vor seinem Tod im Schützengraben in Flandern hat er den Heiland am Kreuz ins Blech einer Brot-Dose geritzt.
BIS 26. NOVEMBER, MUSEUM WILHELM MORGNER SOEST, TEL.: 02921 / 1031131