Das Büro ist noch recht kahl, das Bücherregal wartet auf Füllung. Aber weil Isabel Pfeiffer-Poensgen selbst angenehm aufgeräumt scheint, passt die Umgebung. Das Zimmer könnte also einiges an Unordnung vertragen, weil das durch diejenige, die hier amtet und waltet, leicht kompensiert würde. Noch stehe mancherlei in Berlin, an ihrer bisherigen Wirkungsstätte, aber die 1954 in Aachen geborene neue Ministerin für Kultur und Wissenschaft (die Reihenfolge ist nicht allein durchs Alphabet bestimmt) ist auch erst seit kurzem im Dienst. Es kam plötzlich. Armin Laschet habe sich mit ihr in Berlin getroffen – und ihr das Ministerium angetragen: zehn Tage vor der offiziellen »Verkündigung«, wie sie sagt. Ohne dass wir uns die Begegnung wie die zwischen Engel und Jungfrau Maria auf den Darstellungen der Alten Meister vorstellen müssen – mit der zeichenhaft weißen Lilie als Requisit. Dennoch, frohe Botschaft gibt es – der Landeskulturetat soll im Laufe der Legislaturperiode von gut 200 Millionen Euro um 50 Prozent angehoben werden (zehn Prozent pro Jahr). Darüber hinaus gibt es auch noch mehr zu sagen …
k.west: Es gibt das Konkrete und das Symbolische. Sie verkörpern Kultur, heißt es einhellig seit Ihrer Berufung, wonach im Land spürbar Aufatmen zu hören war. Da treffen sich beide Elemente. Wie kann ich mir diese ‚Verkörperung’ vorstellen – lebensgeschichtlich.
PFEIFFER-POENSGEN: Das ist, um mit Fontane zu sprechen, ein weites Feld. Mein persönliches Interesse war schon immer – da hatte ich auch in und mit meiner Familie Glück – die Kultur. Ich habe stets versucht, meine berufliche Fähigkeit und das, was ich gelernt habe – ich bin, wie Sie wissen, Volljuristin – in diese Richtung zu lenken, übrigens immer zugleich Richtung Kultur und Wissenschaft. Das ist mir in den verschiedenen Aufgaben geglückt, etwa als Dezernentin für Kultur in Aachen damals auch gleichzeitig für Soziales und Gesundheit oder als Kanzlerin der Hochschule für Musik und Tanz in Köln. Aber ich habe mich eben auch aktiv darum bemüht, meine Fähigkeiten auf Felder zu führen, die mir besonders am Herzen liegen.
k.west: Haben Sie den Eindruck, dass in diesen Berufsbildern und Funktionen das Juristische nützlich ist?
PFEIFFER-POENSGEN: Unbedingt, weil man durch ein juristisches Studium sehr streng erzogen wird im strukturellen Denken und sehr lösungsorientiert arbeitet. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es im Kulturbereich unendlich viele gute Ideen gibt, aber es eben auch Leute braucht, die diese Ideen umsetzen und zum guten Abschluss bringen. Da hilft es einem sehr, lösungsorientiert und auch ein stückweit pragmatisch zu sein.
k.west: Die Zweckfreiheit von Kunst und Kultur betont der Koalitionsvertrag. Das scheint man unterstreichen zu müssen, wenn die Neigung vorhanden ist oder war, beides als Vehikel sozialer und pädagogischer Aufgaben zu betrachten. Wie sehen Sie das?
PFEIFFER-POENSGEN: Ich finde es sehr gut, dass dies so ausdrücklich hineingenommen wurde. Ich selbst war an der Koalitions-Vereinbarung gar nicht beteiligt und habe sie erst im Nachhinein gelesen. Eine Tendenz in den letzten vielleicht zwanzig Jahren war in der Tat, die Kultur als Reparatur-Instrument für soziale Verwerfungen zu nutzen. So schön es ist, dass sich auch andere Politikbereiche für Kultur interessieren, um damit etwa maroden Industriestätten oder schwierigen Stadtteilen Impulse zu geben, so ist das doch nicht die Existenzberechtigung der Kunst. Sie hat ein Recht aus sich heraus. Das gefällt mir als Leitlinie sehr gut – und ist identisch mit meiner Überzeugung.
k.west: Sie sind parteilos, kompetent, denken sachbezogen. Und kennen den Betrieb von mehreren Seiten, aus der kommunalen und der wissenschaftlichen Arbeit in Hamburg, Köln und Aachen sowie als Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder unter dem föderalen Bundes-Aspekt – das scheint die ideale Vorbildung für ein landeskulturpolitisches Amt zwischen Städten und Bund und deren Interessen und Empfindlichkeiten. Haben Sie den Eindruck, diese Sensibilität sei in NRW besonders ausgeprägt?
PFEIFFER-POENSGEN: Ja, das liegt natürlich daran, dass NRW wie kaum ein anderes Bundesland kommunal geprägt ist. Es gibt 400 Kommunen als Partner. Das zeigt bereits die Vielfalt und Individualität, aber auch die Koordinierungsaufgabe. Ein Kulturministerium hat vor allem die Aufgabe, Rahmenbedingungen möglichst zu verbessern, und die Kommunen zu unterstützen, in sie hineinzuhören. Und sich zu informieren, wie und mit welchen Förderprogrammen die kulturelle Arbeit vor Ort am besten befördert werden kann.
k.west: Sie sehen Ihre Aufgabe darin, Impulsgeber zu sein – und Nervensäge. Wo wollen Sie denn die Säge ansetzen? Bei wem sollen die Nerven blank gelegt werden?
PFEIFFER-POENSGEN: Das habe ich bewusst so genannt, weil ich aus den vielen Projekten, die ich betreut habe, zuletzt in der Kulturstiftung der Länder, weiß, wie schwergängig manches ist, wie schwer sich manche Partner bewegen, wie langsam Dinge gehen. Da muss man dranbleiben, um gute Ideen auch gegen Schwierigkeiten zu verwirklichen. Wenn man wieder und wieder nachhakt, wird man automatisch als anstrengend empfunden. Aber das ist eben auch ein Instrument der Kulturverwaltung und Kulturpolitik. Ich habe in den letzten Jahren im Bereich Erwerbung von wichtiger Kunst gearbeitet. Da dauerten große Vorhaben oft drei, vier Jahre, bis man alle Enden zusammen hatte.
k.west: In Ihrer Hoheit stehen einige Einrichtungen, die Kunstsammlung NRW, die Ruhrtriennale, Schloss Moyland, das Düsseldorfer Schauspielhaus – letzteres Gott sei Dank nur zur Hälfte.
PFEIFFER-POENSGEN: Nicht zu vergessen, die Kunststiftung NRW.
k.west: Können Sie sich da jetzt etwas zurücklehnen, denn die Positionen sind frisch besetzt?
PFEIFFER-POENSGEN: Man kann sich nie zurücklehnen, man muss immer langfristig denken. Die Entscheidung für die Kunstsammlung ist gefallen. Und wie es das Glück wollte, war ich Mitglied der Findungskommission und bin entsprechend froh über die Wahl von Susanne Gaensheimer. Die Ruhrtriennale hat mit Stefanie Carp schon eine neue, ausgewiesene Intendantin. Und das Schauspielhaus, das uns die Aufregungen über den Bau beschert hat, ist gut besetzt mit Wilfried Schulz, den ich schon aus seinen vorherigen Intendanzen in Hannover und Dresden kenne und schätze.
k.west: Wir haben die Kulturräume Rheinland, Ruhrgebiet, Westfalen. In der Gewichtung und Betrachtung, auch wenn gerade die Skulptur Projekte Münster stattfinden, scheint es nahezu naturgegeben, dass Westfalen zu kurz kommt. Zumindest bleibt das als Komplex virulent. Müssen Sie da therapeutisch wirken?
PFEIFFER-POENSGEN (lacht): Ich weiß, zumindest noch, nicht, ob das stimmt. Ich weiß nur, als ich Kulturdezernentin in Aachen war, ging die gleiche Fama vom Rheinland aus, wo es hieß, das Ruhrgebiet bekommt alles und das Rheinland viel zu wenig. Solche Befindlichkeiten existieren wahrscheinlich immer. Und lassen sich durch regelmäßiges Kommunizieren ganz gut ausräumen. Es verlangt, dass wir uns gleichgewichtig allen Landesteilen zuwenden. Schließlich ist es toll und das Pfund, mit dem Nordrhein-Westfalen wuchern kann – dass es ein dezentrales, breites und unterschiedlich ausgeprägtes Angebot hat. Ich sehe das positiv.
k.west: Auffällig ist, dass im Vergleich zu geschlossenen wahrgenommenen Kulturräumen wie Berlin oder Bayern Nordrhein-Westfalen als nicht einheitlich betrachtet wird. Trotz Ruhrtriennale, trotz Kulturhauptstadt Ruhr, trotz rheinischer Kunstszene. Ist das nur ein Image – oder auch ein Struktur- und mentales Problem? Es bleibt jedenfalls kompliziert.
PFEIFFER-POENSGEN: Ich kenne die 16 Bundesländer. Und Ihre Einschätzung von Bayern ist natürlich nur erklärbar, weil Sie von Nordrhein-Westfalen aus schauen. Also: Das ist nicht nur ein NRW-Problem. Aber es stimmt, in der Gesamtwahrnehmung ist NRW schwieriger zu vermitteln, weil es so wahnsinnig unterschiedlich ist in seinen deutlich verschiedenen regionalen und kulturellen Ausprägungen. Insofern ist es gar nicht so sehr ein Image-Problem. Der Slogan »Wir in Nordrhein-Westfalen« war mal ein Versuch, es zusammenzubinden. Aber ob das gelingen kann? Ich finde, es muss überhaupt nicht gelingen. Dass es etwa kein gemeinsames Symbol gibt, abgesehen vom Landeswappen, hat eben mit der ganz unterschiedlichen Geschichte zu tun.
k.west: Ich muss all die hiesigen Theater und Konzerthäuser nicht aufzählen, die sich ballen. Wie nehmen Sie diese Konzentration wahr im Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz?
PFEIFFER-POENSGEN: Das Kommunale, das Örtliche ist sehr ausgeprägt. Der erfolgreichste Versuch einer Gemeinsamkeit über Stadtgrenzen hinaus war vermutlich die Kulturhauptstadt, damals war ich Jury-Vorsitzende und insofern mit dem Thema sehr befasst. Klar, von außen betrachtet könnte man sich mehr Absprache wünschen. Wenn man sich aber selbst befragt: Wenn man den Tag über gearbeitet hat, sagen wir in Köln, und abends noch ins Konzert gehen möchte, dann fährt man nicht mehr nach Essen. Köln ja, maximal nach Bonn in zwanzig Minuten. Alles andere ist eher unrealistisch. Individuell genommen also ist das Angebot wichtig – und das ist auch eine Stärke. Man darf das eben nicht rein etatistisch betrachten im Sinne von ‚Das kostet alles so viel’. Im Vergleich zur amerikanischen oder auch französischen Provinz ist das bei uns ein luxuriöses Dasein. Aber es führt Menschen zusammen. Gesellschaftspolitisch sind solche wohnortnahen Plätze gemeinsamen Erlebens extrem wichtig.
k.west: Ihr Name und Ihre berufliche Biografie verbinden sich mit Wissenschaft, Musik, Tanz, bildender Kunst. Sie sind engagierte Streiterin für das kulturelle Erbe und haben sich deutlich positioniert, als es um die Versteigerung zweier Warhols durch den Casino-Betreiber Westspiel ging, und im Fall Portigon, als es den Verkauf der Kunstsammlung der ehemaligen WestLB betraf. Aber, hoppla, da fehlt noch was. Gehen Sie gern ins Theater?
PFEIFFER-POENSGEN: Wahnsinnig gern. In Berlin habe ich das Angebot stark wahrgenommen, auch Oper und Konzerte. Dabei war der Charme für mich in Berlin, dass ich keine unmittelbare Verantwortung für diese Angebote und Einrichtungen hatte. Anders damals als Kulturdezernentin in Aachen, wo erwartet wurde, dass ich zu allen 26 Premieren, immer samstags, kam – und gern ging. Jedes Fehlen wurde registriert.
k.west: Um bei der Hauptstadt zu bleiben, was ist Ihre Meinung zur Volksbühne-Nachfolge?
PFEIFFER-POENSGEN: Ich hab’ ein weites Herz. Ich finde, man muss Chris Dercon jetzt eine faire Chance geben – und dann nach zwei Saisons urteilen. Ich weiß nicht, ob es eine glückliche Entscheidung war, ihn zu beauftragen. Auch als Stich ins Herz des früheren Ostberlin. Aber Intendantenwechsel sind etwas, das wir akzeptieren sollten, zumal nach 25 Jahren, oder? Es gab ungerechte Unterstellungen und persönliche Attacken gegen Dercon und eine gewisse Ungeschicklichkeit auf seiner Seite. Von der Volksbühne-Spielzeit werde ich allerdings so viel nicht sehen. Jetzt gehe ich hier ins Theater.