Unterwegs in der Bank mit Daniel Burkhardt
Wer ist das? Wer läuft da rasch durch die Flure, vorbei an Türen und Glaswänden? Vom Keller bis in die Vorstandsetage. Auf und ab und hin und her und immer schneller und schneller. Ein Bote, ein Angestellter? Vielleicht ein Eindringling, der hier überhaupt nichts zu suchen hat? Die kleine Video-Arbeit, die Daniel Burkhardt auf seinem Notebook vorführt, gibt keine Antwort. Sie zeigt nur Füße in schnöden Schnürschuhen, die sich durch das Bürogebäude bewegen, schleichend über weiche Auslegware oder begleitet vom leisen Klatschen der Gummisohle auf dem blanken Kellerboden.
Man ahnte es. Der Künstler selbst steckt in den Tretern und hinter dem Geheimnis: Im Neubau der NRW Bank hat Burkhardt die eigenen Schritte aufgenommen, mit einer kleinen Kamera samt Mikro dicht am Boden. Bei den Filmarbeiten ist er an 60 Stellen im Haus rumgelaufen, erst gemächlich, dann immer eiliger. Ganz schön sportlich. Aber richtig anstrengend wird es erst danach.
An diesem Vormittag ist er im Atelier im Kölner Stadtteil Nippes bei der Computerarbeit für die Ausstellung in Münster zu treffen. Er sei längst nicht fertig, sagt Burkhardt. Der Film, der auf dem Bildschirm läuft, biete nur einen ersten Entwurf. Gebannt schaut man zu, wie sich durch den Schnitt das Tempo steigert. Bis Schuh und Schritte kaum noch auszumachen sind. Mehr und mehr lösen sich Bilder und Töne vom Gegenstand und vom Geschehen. Ein Sausen vor Augen, ein Trommeln in den Ohren: Beschleunigung bis zum Geht-nicht-mehr. Und Schluss. Überraschend, wie viel Rasanz in einem Spaziergang stecken kann, noch dazu, wenn er durch einen unspektakulären Alltagsort führt.
Die Homepage von Burkhardt bietet eine Reihe solch faszinierender audiovisueller Experimente. Mit seiner Diplomarbeit an der Kunsthochschule für Medien hat er bereits 2008 den renommierten Marler-Medienkunstpreis gewonnen. Inzwischen lehrt er selbst als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der KHM. Eine Aufgabe, die ihm Freude bereite und ihn unabhängiger mache von diversen Jobs, mit denen Künstler wie er ihr Auskommen sichern. Trotzdem kommt ihm das Semesterende gerade jetzt gelegen. So wird er in den folgenden Wochen die nötige Muße für das Münster-Projekt finden. Reizvoll wird da sicher das Zusammenspiel mit Johanna Reich sein. Nicht nebeneinander oder aneinander vorbei wollen sie ihre Arbeiten präsentieren, sondern quasi übereinander. Der Film solle, so Burkhardt, bodennah laufen, Reichs Bilder würden dagegen in der Luft hängen. Mehr will er nicht verraten – und verweist auf die Kollegin.
Fischen in der Bilderflut mit Johanna Reich
Also, auf ans andere Ende von Köln über den Rhein zum Atelierhaus nach Poll, wo Johanna Reich einen hellen, aufgeräumten Arbeitsraum belegt. Mitten drin hängt eine Art Fahne – das aufgedruckte Foto zeigt einen Mann, der sein Gesicht vergräbt. Fasern und Falten verunklären das Bild, doch muss es wohl Barack Obama sein. Nicht offen, aufrecht, strahlend, wie man ihn sonst kennt, zeigt sich der Ex-US-Präsident, sondern nachdenklich. Verzweifelt vielleicht? Die Aufnahme sei kurz vor der Wahl von Donald Trump entstanden, bemerkt Reich.
Die Fahne gehört zu ihrem Projekt für Münster. Dafür hatte sie einige Mitarbeiter aus der Bank, aber auch Andere, Freunde wie Unbekannte, nach globalen Ereignissen gefragt, die sie nicht mehr loslassen. Nach Bildern, die sich ins Gedächtnis einbrannten. Ein Fischzug durch die Bilderflut im eigenen Kopf. Eine junge Frau habe sofort den scheidenden US-Präsidenten herausgezogen. Andere nannten die Mondlandung oder den Mauerbau. Reich hat die Ereignisbilder zunächst auf die Haut projiziert, wie Tattoos, oft auf Arme oder Hände. Das Ganze wurde abfotografiert und dann auf den Stoff gedruckt.
Voller Fahnen will sie den Ausstellungsraum sehen. Die Erinnerungen sollen dort gleichsam schweben über Burkhardts Schritten. Nicht gestochen scharf, sondern vage, durchscheinend. Verzerrt, wo sie auf die Haut treffen oder in Falten liegen. Veränderlich im Licht, beweglich im Luftzug. Zu den Fahnen kommen Stimmen im Ohr: Per Kopfhörer werden die Erzählungen zu den Bildern eingespielt. Der Schauplatz Bank scheint für Reich bei der Idee sehr wohl relevant. Wir alle wüssten schließlich, welch maßgeblichen Einfluss Geldhäuser auf das internationale Geschehen hätten. Ähnlich wie Bilder, die ebenfalls ein wichtiges, aber auch gefährliches Tool seien – mit einigem Einfluss auf das globale System.
Reich gehört zu denen, die gut und gern über ihre Kunst sprechen. Kommunikation ist ihr Ding. Oft basieren ihre Arbeiten auf Begegnungen oder beziehen Gespräche ein. Für die Jubelausstellung »Luther und die Avantgarde« in Wittenberg etwa hat sie Jugendliche nach Freiheitskämpfern gefragt, die sie besonders faszinierten. Die Ergebnisse setzte sie in Großfotos um und plakatierte sie in der Stadt. Seit Jahren ist Reich recht präsent im Ausstellungsbetrieb. Letztes Jahr sah man ihre Werke an 200 Kölner Litfaßsäulen; im Rahmen der »Skulptur Projekte« läuft in Marl eine ihrer Video-Arbeiten. Derweil sitzt sie an einem neuen, diesmal von der Stadt Köln initiierten Projekt, das die oft übersehenen Skulpturen an den Kölner Ringen in den Blick rückt.
Es gibt viel zu tun. Doch an diesem Tag ruht die Vorbereitung. Reich will noch mal losziehen mit der 360-Grad-Kamera und sich Zeit nehmen für ungebundene Experimente. Eine VR-Brille hat sie sich schon zugelegt. Wer seine Kunst auf neue Medien stützt, muss up to date bleiben. Burkhardt und Reich machen es vor, nicht nur was die Technik angeht. Ihr gemeinsamer Auftritt scheint auch deshalb bemerkenswert, weil beide, jeder auf eigene Art, den Zeitgeist kommentieren. Burkhardt, wenn er in rasenden Schritten und Schnitten die Beschleunigung auf die Spitze und in den Irrsinn treibt; Reich, indem sie sich die Bilderflut in unseren Hirnen vornimmt und im flatternden Einzelbild Essenzielles einfängt.
NRW BANK, MÜNSTER, JOHANNA REICH UND DANIEL BURKHARDT: SIGHT CONNECTION, 1. SEPTEMBER BIS 15. OKTOBER 2017, TEL.: 0251 / 917410