TEXT STEFANIE STADEL
Es bleibt nicht mehr viel Zeit bis zum Start der Skulptur Projekte. Wer darauf achtet, kann Vorboten überall bemerken: die kleinen Bagger im Park etwa, die ein Brunnenloch ausheben. Oder die lärmenden Umbauten im heruntergekommenen Asia-Shop, der mit einem Kinosaal aufgerüstet wird. Zwischendrin ein Hin und Her von Kuratoren, Architekten, Technikern, Handwerkern, die den Betrieb auf den Kunst-Baustellen am Laufen halten. Künstler sind auch dabei, nicht alle 35, aber einer hier, ein anderer dort.
Christian Odzuck trifft man nicht auf der Baustelle. Für ein erstes
Gespräch ist ihm ein ruhiger Ort wichtig. Hinten am Tisch im bahnhofsnahen Café sitzt er mit Notebook und dicken Büchern beschwert. Offenbar hat der 38-jährige Bildhauer einiges vor. Er ist keiner, der einfach so drauflos redet. Alles scheint gründlich vorbereitet, geplant, strukturiert. Auch seine Kunst. Odzuck gehörte zu den ersten, die eingeladen wurden für die Skulptur Projekte. Er macht kein Geheimnis daraus, was diese Herausforderung für ihn bedeutet.
»Kommen Sie so oft her wie es geht«, habe Kurator Kasper König beim ersten Treffen vor gut zwei Jahren empfohlen und ihm zur Lektüre alle vier Kataloge der vergangenen Skulptur Projekte in die Hand gedrückt. Von da an, so Odzuck, habe sich ziemliche Spannung in ihm aufgebaut, »nicht lähmend, aber doch schon heavy«. Sie sei immer da, mal mehr, mal weniger. Allein aufgrund der gewichtigen Geschichte der Skulptur Projekte. »Immerhin waren in der Vergangenheit viele Künstler dabei, die zu meinen absoluten Lieblingstypen zählen«, sagt Odzuck, einst Meisterschüler von Rita McBride an der Düsseldorfer Kunstakademie.
Auch wenn die Arbeiten an seinem Vorhaben auf der Abriss-Brache der ehemaligen Oberfinanzdirektion gut vorangehen, ist Ende Mai für ihn die Zeit zum Aufatmen noch nicht gekommen.
Odzuck baut eine begehbare Skulptur, die Elemente der ursprünglichen Eingangsarchitektur aufgreift. Ein neun Meter hoher Pylon gehört dazu und eine umlaufende Treppe. Immer wieder hatte er in den letzten Wochen und Monaten kurzfristig umkrempeln, neudenken, anders planen müssen. Die Genese der Arbeit füllt bis heute acht Bücher. Tatsächlich dokumentiert er druckreif jeden Schritt im Werden des Werks.
Wegen des Gewichts hat er an diesem Tag sechs der Münster-Bände zu Hause gelassen. Doch reichen die zwei, um beim Blättern einen Eindruck von der immensen Vorarbeit zu gewinnen. Sie begann nicht erst mit der Oberfinanzdirektion, sondern lange zuvor mit dem sorgfältigen Studium der Skulptur-Projekte-Geschichte. Pflichtgetreu hat Odzuck Königs Kataloge durchforstet, Fotos belegen es. Im nächsten Recherche-Schritt machte er sich aus Düsseldorf, wo er seit dem Studium lebt und arbeitet, auf den Weg nach Westfalen. Wieder und wieder und wieder. Warum? Ihn interessiert »das Umherschweifen, ich meine, ein vorbehaltloses Abspazieren«.
Dabei wollte Odzuck nicht bloß in die Geschichte der Skulptur Projekte eintauchen. Seine Forschungen erstreckten sich bald auf die gesamte Stadt. Um die 25.000 Fotos dokumentieren seine Suche nach Bauten, Straßen, Ecken, Situationen, die seinen künstlerischen Interessen entsprechen. Die liegen irgendwo zwischen Skulptur und Architektur, zwischen öffentlichem Raum und Stadtgeschichte. In dem Zusammenhang kommt einem seine Aktion vor zwei Jahren in Düsseldorf in den Sinn. Odzuck hatte mit Kollegen Hunderte der charakteristischen »Horten-Kacheln« von der Fassade einer abgerissenen Kaufhof-Filiale gerettete. Es sind die Prozesse in einer Stadt, sind Veränderungen, denen er nachspürt. Nicht anders in Münster.
Nach einer Stunde im Café ist er bereit zur Ortsbesichtigung.
Auf zur Oberfinanzdirektion, besser gesagt zu der Stelle, wo der 150 Meter lange Gebäude-Riegel sich einst ausstreckte. Bei seinen Erkundungen sei ihm der 60er-Jahre-Bau sofort aufgefallen mit einer für Münster ungewöhnlichen Größenordnung, so Odzuck. Noch spannender wurde die Sache für ihn, als er vom möglichen Abbruch erfuhr. Schnell war er entschlossen, einen Gebäudeteil zu sichern und daraus sein Projekt zu entwickeln. Doch eh er sich versah, war das Überbleibsel – gegen die Absprache – abgerissen. Das war ein harter Moment. Unbeirrt hat Odzuck sich zum modifizierten Neubau entschlossen und ist damit inzwischen sehr zufrieden.
Bald wird man die Treppen hinaufsteigen auf eine Art Plattform. Heute aber führen noch zwei kleine Leitern aufs Baugerüst. Von oben schauen wir gemeinsam auf die städtische Leerstelle, wo letzte Abbrucharbeiten im Gange sind. Eine neue Gesamtschule wird entstehen. Vielleicht würden die Bauarbeiten ja noch vor Ende der Skulptur Projekte beginnen. Dann könnten die Besucher den Prozess mitverfolgen, wäre toll, findet Odzuck.
Während er noch vom Gerüst aus in die Zukunft blickt, hat Ayşe Erkmen ihre Baustelle schon verlassen und ist eingekehrt ins kleine Hotel nahe dem Dom. Man kennt sie. Die Dame am Empfang kann sich an Erkmens letzten Aufenthalt erinnern, obwohl der 20 Jahre zurückliegt. Wahrscheinlich hatte sie damals, nicht zuletzt wegen ihrer spektakulären Aktion, bleibenden Eindruck hinterlassen: Für die Skulptur Projekte 1997 charterte
Erkmen einen Hubschrauber, der alte Skulpturen aus dem Depot des Landesmuseums ins Schlepptau nahm, um sie über dem Domplatz schweben zu lassen. Nach der Tour wurde die Fracht sicher auf dem Flachdach des Museums abgesetzt.
Nun ist Erkmen wieder da, inzwischen international gefragt, mit Professuren hier und dort, einem Wohnsitz in Istanbul, wo sie 1949 geboren wurde, und einem zweiten in Berlin. Auch einen vielbeachteten Auftritt 2011 im türkischen Pavillon der Venedig Biennale hat Erkems Vita zu bieten. Sie erinnert sich noch gut und gern an den alten Münster-Coup. Mit ihrem aktuellen Projekt will sie an die Idee anknüpfen: »Ich kann schließlich nicht tun, als wäre ich nie hier gewesen«, sagt sie lächelnd.
Nach dem Element Luft möchte Erkmen diesmal das Wasser wirken lassen und steigt deshalb nicht per Hubschrauber auf, sondern barfuß oder mit Flipflops hinab ins Hafenbecken. Auf einem Steg sollen Besucher von der einen Seite des Hafens zur anderen wandeln – und könnten dabei für Irritation sorgen. Denn Erkmens Brücke führt nicht wirklich über das Wasser, sie liegt kaum sichtbar einige Zentimeter unter der Oberfläche. Es soll aussehen, als ob man übers Wasser läuft. Wie jemand auf dem See Genezareth.
Gerade erst ist Erkmen aus Berlin angekommen, um den aufwändigen Aufbau der zauberhaften Installation zu begleiten. Vorher war sie in Venedig und Ljubljana – Reisen gehöre für einen Künstler dazu, meint sie. In Münster will sie nur bleiben, bis alles fertig ist. Mit Kran und Bagger waren ihre Helfer an diesem Tag im Hafen unterwegs und haben erste Container als Basis für die Brücke versenkt, am nächsten Morgen soll’s weiter gehen damit. Wenn alles glatt läuft, wird dann obenauf ein Gitterrost montiert.
114 Tage lang wird man dann mühelos wechseln, von dem mit Ausstellungshalle, Ateliers, Kneipen, Kinos belebten Ufer auf der einen zur gegenüberliegenden Seite, die eher industriell geprägt ist. Nach der Ausstellung soll Schluss sein mit dem Zauber.
Erkmen fürchtet alles Dauerhafte. Sie glaubt, »jedes Kunstwerk hat seine Lebenszeit – drei Tage oder drei Jahre.« Wichtig ist nur, dass die Kunst geht, »bevor sie alt und langweilig wird«.
»SKULPTUR PROJEKTE MÜNSTER 2017«
10. JUNI BIS 1. OKTOBER 2017
TEL.: 0251/5907500