TEXT STEFANIE STADEL
Kurven, Kringel, Kleckse legen sich über bunte Farbwolken. Dünne Strähnen schlängeln umher und enden in dicken Tropfen. Viel mehr fällt einem nicht auf in Hans Hofmanns »Fantasia«. Doch feiert die Einzelausstellung in der Kunsthalle Bielefeld das Gemälde als kleine Sensation. Dazu muss man wissen, dass jene vom Pinsel oder aus dem Topf getropften, gespritzten, gegossenen Farbspuren schon 1943 auf die Leinwand fanden. Ein paar Jahre später erst sollte Jackson Pollock sich das »Dripping« zu eigen machen und damit zur Legende werden.
Hofmanns Experimente mit tropfenden Pinseln und spritzender Farbe hat man dagegen – zumindest in Europa – fast vergessen. Zusammen mit dem ganzen Rest des künstlerischen Werks, das zwischen europäischer Moderne und US-amerikanischer Avantgarde einen eigenen Weg einschlug. Zur Maler-Prominenz würde man Hofmann heute gewiss nicht zählen, obwohl in der Vita des 1880 im bayerischen Weißenburg geborenen, 1966 in New York verstorbenen Künstlers einiges zu finden ist, was dauerhaften Ruhm verspricht: Bei der documenta in Kassel war er 1959 dabei, im Jahr darauf bestückte er den US-Pavillon auf der Venedig-Biennale, 1963 feierte das New Yorker Museum of Modern Art ihn mit einer Einzelausstellung.
Trotz allem schaffte er es nicht in den Kanon. Eher schon als seine Bilder blieb er als Lehrer und Impulsgeber im Gedächtnis, als treibende Kraft inmitten der New York School. Umso gespannter schaut man in die Kunsthalle, die bekannt macht mit dem Maler Hans Hofmann und beim Blick in die Praxis auch seine Theorien anschaulich werden lässt. Allen voran die Forderung nach Verzicht auf jede perspektivische Konstruktion. Hofmann reichen Farben, Formen, Flächen, um ein Davor und ein Dahinter zu schaffen.
Es ist seine bisher umfassendste Ausstellung überhaupt, sie schöpft zu großen Teilen aus der Stiftung des Künstlers am Berkeley Art Museum. Frühe Arbeiten fehlen allerdings – viele sind verloren gegangen. So kann die Schau erst in den 1930er Jahren loslegen, als Hofmann die 50 schon überschritten, seiner Heimat den Rücken gekehrt und in den USA den Neuanfang eingeläutet hatte: mit knallbunten Interieurs, Stillleben und Landschaften, in denen Erinnerungen an Felder, Wege, Dächer, Bäume bald verblassen und dem Furor in kraftvollen Farben die Bühne überlassen.
Alles Mögliche vermengt sich in diesen Werken der 30er und 40er Jahre. Zuweilen denkt man an Cézannes Bildarchitekturen, manchmal an Kandinsky und seine »Impressionen«, öfter aber an Matisse und die expressiven Farben der »Fauves«. Vieles von dem, was auf der Bildfläche passiert, lässt sich gut erklären mit Hofmanns europäischer Vorgeschichte, die in Paris einen frühen Dreh- und Angelpunkt fand. Dank einem Sponsor konnte er ab 1904 am Nabel der damaligen Kunstwelt alles aufnehmen, was neu war und wichtig werden sollte. Der nur ein Jahr jüngere Picasso war vor Ort, die »Fauves« formierten sich. Cézanne konnte Hofmann 1907 posthum in zwei Retrospektiven erleben. Mit dem Ehepaar Delaunay schloss er eine enge Freundschaft.
All das bleibt wesentlich, ebenso wie die Jahre ab 1914 in München, wo Hofmann dem »Blauen Reiter« begegnete und sich für Kandinsky und dessen Schrift »Über das Geistige in der Kunst« begeisterte. Nebenbei betrieb er dort eine erste Kunstschule, deren Ruf sich bis in die Vereinigten Staaten verbreitete. Wiederholt rief man ihn zur Lehre an US-Institute. Und weil er sich mit seiner Art der Kunst daheim keine Chancen mehr ausrechnen konnte, kehrte er 1932 nicht mehr zurück. Wenig später eröffnete seine neue Schule in New York.
»Wenn ich nicht von Amerika gerettet worden wäre, hätte ich mein Glück als Maler nicht gemacht«, bemerkte Hofmann dankbar. Umgekehrt könnte man fragen, was ohne ihn aus Kollegen wie Gorky, Krasner und Kaprow, de Kooning oder Pollock geworden wäre. Zumindest, lässt sich mutmaßen, hätten ihre Kunst und Karrieren etwas anders ausgesehen. Denn was er als Augenzeuge der europäischen Moderne malend und lehrend in die USA trug, machte Schule. Vergleichbar vielleicht mit dem Bottroper Joseph Albers, der in seiner neuen US-Heimat ab 1933 die Botschaften des Bauhauses verbreitete. Hofmann bediente derweil die andere Richtung.
Matisses Farbenlehre könne man besser von Hofmann als von Matisse selber lernen, urteilte Clement Greenberg, Kritikerpapst der New Yorker Avantgarde und Fürsprecher des Abstrakten Expressionismus. Auch er lauschte den Unterweisungen des radebrechenden Bayern. Auf Fotos im Bielefelder Ausstellungskatalog sieht man Hofmann umgeben von Scharen junger Leute, im Klassenraum oder auch unter freiem Himmel an der Staffelei. Der Naturimpuls blieb für ihn wesentlich. Auch noch, als sich die eigene Kunst längst vom fassbaren Gegenstand verabschiedet hatte.
Hofmann war 78 Jahre alt, als er die Schule schloss, um in der Malerei aufzugehen. In großen Formaten zog er sein Resümee, strahlend und selbstsicher. Die Schau kann etliche Beispiele auffahren: Plan und Expression, Geometrie und Geste begegnen einander und durchdringen sich oft in ein und demselben Bild. Mal legt sich die stark verdünnte Farbe dabei wie ein Nebel über die Leinwand, ein andermal spachtelt Hofmann sie tubenweise auf.
Oft genug geht es drunter und drüber. Über Schichten in aufgewühltem Informel legen sich exakt vermessene gelbe, grüne, blaue, rote Rechtecke. Die geometrischen Flächen drängen in den Vordergrund oder weichen zurück. »Push and pull«, nannte Hofmann das Prinzip. Durch »schieben und ziehen« erreicht er räumliche Dynamik, ganz ohne perspektivische Illusion.
»Jack, the Dripper«, wie man den Kollegen Pollock auch nannte, war längst tot, als der alte Hofmann seine Malerei in diesen Spätwerken mit voller Kraft auf einen Höhepunkt trieb.
KUNSTHALLE BIELEFELD, »CREATION IN FORM AND COLOR: HANS HOFMANN«, BIS 5. MÄRZ 2017, TEL.: 0521/32999500