TEXT ANDREAS WILINK
Das also war es. Der Vorhang in Düsseldorf hat sich aufgetan, wie er sich mit altmodisch grünen Volants lüftete in Nicolai Gogols Komödie vom falschen »Revisor«, der die Honoratioren einer Kleinstadt foppt (inszeniert von Linus Tunström im Central am Hbf), oder wie er sich bei »Gilgamesh« in Form geraffter Zeltplanen hob, um den Blick auf den städtischen Passanten-Verkehr zu öffnen. Das Theater-Zelt, in dem mit dem Ur-Epos die neue Schauspiel-Intendanz von Wilfried Schulz in der Landeshauptstadt und im halben NRW-Staatstheater begann, steht prominent auf dem Corneliusplatz an der Königsallee und ersetzt bis auf Weiteres das Stammhaus am Gustaf-Gründgens-Platz. Dort verhindern Baumaßnahmen für den Kö-Bogen II auf Jahre hin den Spielbetrieb. Eine städtebauliche und kulturpolitische
Katastrophen-Geschichte für sich, deren absurde Aspekte eines Satirikers wie Gogol würdig wären. Mittlerweile gehen Freunde des Schauspielhauses auf die Barrikaden und wollen versuchen, den sich nunmehr Richtung 2018/19 verzögernden Wiedereinzug durch die Hintertür (als Entree den rückseitigen Eingang von der Terrasse am Hofgarten her vorschlagend) durchzudrücken.
Manege frei! Roger Vontobel hat aus der 5000 Jahre alten sumerisch-babylonischen Rarität »Gilgamesh« über den König von Uruk, dessen Gefährten und Geliebten Enkidu, über die Frage nach dem Sinn des Todes und der Lebensaufgabe des Menschenwesens eine belanglose Traumzeit-Revue choreografiert und sie beliebig musikalisch-rockig aufgemischt. Er macht es sich mit der Zirkus-Metapher leicht und liefert sich eher Ringkämpfe im aufgehäuften und matschigen Erdreich, als nennenswert und ernsthaft Konflikte (Männerfreundschaft, Mutter-Sohn-Beziehung, Ursprünge unserer Zivilisation aus dem Orient) zu umspielen. Am Ende der mythischen Mär hebt sich, wie gesagt, die Außenhaut des Zelts und lässt das Drinnen und Draußen sich einen Moment lang begegnen. Willkommen in der Stadt!
In Gogols »Revisor«, der nun wahrhaft etwas zu sagen hätte, um Usancen der öffentlichen Hand und ökonomischer Transferleistungen, der Bürokratie, der institutionalisierten Demokratie und des auf weiche Weise korruptionsanfälligen Gemeinwesen zu durchleuchten, hat der Schwede Tunström nur die dumme Posse gefunden, die er weder realistisch-scharfsinnig noch komisch (dies das größere Verbrechen dem Stück gegenüber) über zwei langatmige Stunden ausdehnt und ihr dabei jede Relevanz austreibt. Dabei propagiert doch Schulz das Theater als »Ort gesellschaftlicher Reflexion«.
Bleibt für den Anfang die »Bürgerbühne«, Schulz’ aus Dresden mitgebrachtes partizipatives Modell. Als Jürgen Gosch gefragt wurde, weshalb er bereits zum dritten oder vierten Mal den »Sommernachtstraum« inszeniere, antwortete der, er wolle wissen, ob die Handwerker auch die Elfen seien. Ähnliche Neugierde spricht aus Svea, wenn sie sagt, »wir wollen den Sommernachtstraum aus Sicht der Bäume spielen«. Das tun die gecasteten Jugendlichen von 15 (Svea) bis 24 zwar dann nicht, aber einiges andere.
Im Studio des Central gibt es unter Regie von Joanna Praml Tränen, Krisen, Steinschlag, Türenschlagen, eine Camping-Nacht, Knittelverse – und so viel Freimut, Lust und Unverstelltheit, dass das Zuschauen Freude macht. Jemand (natürlich ein Kölner) verschluckt den Besetzungszettel. Auch wenn alle total bei der Sache sind, spielen sie das Leben auf Probe im Freistil als mobiles, vitales Proben-Tagebuch von Tag 1 an. Dabei verschieben sich – angefangen bei dem Gerangel um die Rollen, den Irrläufen der »Scheiß-Liebe« und der Fremdsprache des eigenen Körpers – die Grenzen von Emotion und Analyse sowie die zwischen Dargestelltem und Darsteller. »Oderist das hier privat?« Es werden Manierismen von Schauspielunterricht ebenso ausgestellt wie die Forderung nach politischem Theater verjuxt. Shakespeare himself kriegt einen Auftritt. Da sind schon die Herzen wund und das komplette Theater-Gesetzbuch ist kapiert, auf dass nun die jungen Sommernachtsträumer wissen, wie man nüchtern trunken wird.