TEXT STEFANIE STADEL
Schütte, Deacon, Trockel, Genzken – in der kleinen Hinterhof-Werkstatt gibt man sich die Klinke in die Hand. Bei Niels Dietrich in Köln-Ehrenfeld lässt die Künstler-Prominenz ihre Ideen in Keramik verwirklichen. K.west hat sich umgeschaut zwischen Brennöfen und »Gartenzwergen«.
Eine Seitenstraße in Köln-Ehrenfeld: alte Wohnhäuschen, vis-à-vis Gewerbe. Der Hof ist offen, doch hinten links in der Werkstatt scheint noch alles ruhig. Beim Blick durch die großen Fenster fallen ein paar merkwürdige Türme ins Auge – beinahe mannshoch und in weiße Laken gehüllt. Vor dem riesigen Ofen drücken dicke Keramikplatten ihre zerklüftete Schokoladenseite in Schaumstoff. Die kleine Kachel vorn auf dem Tisch erinnert mit ihrer dicken, körnigen Glasur an einen Marmeladen-Toast.
Gleich ist es neun und die beiden Mitarbeiter von Niels Dietrich werden anradeln. Bis dahin nutzt der Chef die Zeit am Computer. Auch hat er sich zum Interview überreden lassen, obwohl ihm eigentlich die Ruhe fehle – zu viele unvorhergesehene Verpflichtungen. Dietrich managt einen Kleinbetrieb mit ausgefallenem Geschäftsmodell: Seit rund 30 Jahren arbeitet er ausschließlich für Künstler und mit ihnen. Er hilft, ihre Ideen in Keramik zu verwirklichen.
Wären auf den Schildchen in den Museen auch die handwerklich versierten Partner der Künstler verzeichnet, würde man sich wundern, wo Dietrich überall seine Finger im Spiel hat. Dabei reicht es völlig, sich in der nächsten Nachbarschaft umzuschauen. Richard Deacons teils abenteuerliche Keramik-Konstruktionen etwa, die aktuell in der Langen Foundation in Neuss gastieren, wurden allesamt in Ehrenfeld gebrannt, verschraubt und bunt glasiert. Auch jene Bodenarbeiten, die der Brite eigens für seinen Auftritt in Thomas Schüttes neuer Skulpturenhalle entworfen hat, sind made in Cologne. Schütte selbst präsentiert in der Düsseldorfer Galerie Konrad Fischer zur Zeit Köpfe, Masken und »Gartenzwerge«, ebenfalls frisch aus Dietrichs Ofen.
Die Prominenz steht Schlange bei ihm. Rosemarie Trockel, Daniel Libeskind und Siegfried Anzinger, Isa Genzken, Heinz Mack, Carsten Höller und K.O. Götz gehörten seit den 80ern zu seinen Kunden. Einen wie ihn würden sie im Branchenbuch wohl vergeblich suchen. Dietrich ist quasi zufällig hineingerutscht in die Nische und hat sich schnell einen Namen machen können. Es fing an mit Norbert Prangenberg, den er noch während des eigenen Studiums an der Fachhochschule in Krefeld kennenlernte. »Norbert kam als Mies van der Rohe-Stipendiat und wollte verschiedene Dinge verwirklichen – ich konnte ihm technisch weiterhelfen.« Dietrich fand das klasse.
Es folgten Kirsten Ortwed, für die er 1987 große goldene Kugeln fertigte, bald darauf Thomas Schütte, dem er bei seinen »schwarzen Zitronen« zur Seite stand. Pläne einer eigenen Kunst-Karriere, die Dietrich einst als Gasthörer bei Ulrich Rückriem in Düsseldorf gehegt hatte, waren ad acta gelegt, als er 1989 mit seinem Atelier vom Niederrhein nach Köln umzog. Etwas später brachte er von dort aus mit Schütte zusammen die berühmten »Fremden« auf den Weg, die bei der Documenta 9 auf dem Portikus eines Kasseler Modehauses Asyl fanden.
Doch kommen Künstler nicht ausschließlich mit keramischen Anliegen. Isa Genzken etwa klopfte Anfang der neunziger Jahre mit einer roten Rose an Dietrichs Tür. »Nicht das allerschickste Exemplar, eher eine Normal-Rose aus dem Laden«, bemerkt er. An die Maße erinnert sich der Fachmann noch genau: 80 Zentimeter habe die Schnittblume gemessen, sie sollte auf acht Meter vergrößert werden. Das klinge einfach, sei aber in diesem Fall etwa kompliziert gewesen, wegen des dünnen Stängels. »Da mussten Windlasten ausgerechnet und ein Material gefunden werden, das für solche Belastungen in Frage kommt.« Schließlich wurde das Riesending in Stahl gegossen. Eine Spezialwerkstatt tat er in Bielefeld auf.
Wenn Dietrich von diesen Projekten erzählt, bemüht er sich darum, seinen eigenen Anteil klein zu reden. Alles, was die Werkstatt verlasse, sei hundert Prozent Genzken, Schütte, Deacon, Trockel… Er vergleicht deren Arbeit mit der des Architekten, der ja auch nicht eigenhändig Stein auf Stein setze, doch die Fäden in der Hand halte und bestimme, wo es lang gehe. »Wir selbst sind nichts als Dienstleister für die Kunst.«
Ein Job, der nicht nur Knowhow, sondern auch ein gehöriges Maß an Einfühlungs- und Durchhaltevermögen verlangt. Dietrich traut man beides zu. Anders wäre kaum die internationale Nachfrage zu erklären. Auch an diesem Vormittag muss er hart bleiben am Telefon. Neue Künstler nimmt Dietrich schon seit Jahren nicht mehr auf. Selbst Stammkunden kann er erst im nächsten Jahr bedienen. »Wir sind ein kleiner Laden, mehr geht nicht.«
Stimmt. Was den Platz angeht, scheinen die Kapazitäten vom Kellerboden bis unter die Decke ausgereizt. Kunststücke in allen Stadien – von Mai-Thu Perrets Skizze auf dem Tisch bis zum quasi vollendeten »Gartenzwerg« von Thomas Schütte. Dazwischen liegen etwa ein paar bunt glasierte Keramikplatten für Rosemarie Trockels nächste Ausstellung in Turin – verkehrt herum, weil auf der Rückseite noch Aufhänger anzubringen sind.
Jeder Künstler arbeitet anders. »Trockel geht gerne so vor, dass wir etwas modellieren, was sie dann als Gegenüber benutzt, sich künstlerisch aneignet.« Schütte komme meist mit ziemlich konkreten Ideen und oft mit Zeichnungen in die Werkstatt. So auch bei der aktuellen Werkgruppe der »Gartenzwerge«, die Dietrich seit 15 Monaten in Atem halten. Der Künstler liefert Konturzeichnungen der Drehkörper, die auf der Scheibe geformt werden. Das Glasieren übernimmt Schütte dann wieder selbst.
Deacon dagegen zeichnet selten. Lieber entwickelt er in Köln kleine Modelle, die Dietrich und Co. vergrößern, wobei sie es mitunter mit extremen Maßen und Gewichten zu tun bekommen. Vier Meter hoch und über zwölf Tonnen schwer ist Deacons dunkelgrün glänzender Koloss »Fold«, der 2014 im Foyer der Londoner Tate Britain seinen Auftritt hatte. Um die 60 Einzelteile wurden in Köln hergestellt, jedes einzelne zu schwer, um es zu tragen. Dietrich: »Wir brauchten Hebezeuge und eine Stahlinnenkonstruktion.«
Inzwischen hat Deacon ein eigenes Atelier vor Ort. »Da hinten versteckt«, Dietrich zeigt in die rechte Hof-Ecke. Regelmäßig kommt der Brite her, um seine Keramiken zu entwerfen und die Fertigung zu begleiten. Zur Zeit ist er daheim in London. Dafür hält Mai-Thu Perret sich für einige Tage in Köln auf. Die junge Schweizerin mit französisch-vietnamesischen Wurzeln ist aus Genf angereist, um hier zu werkeln – morgens kommt sie aus dem Hotel herüber.
Hat Dietrich nie daran gedacht, den Betrieb zu vergrößern? »Nein, das möchte ich nicht, und ich glaube auch nicht, dass das ginge«, sagt er entschieden. Eher arbeitet er daran, die Vielzahl der Projekte zu reduzieren und sich auf bestimmte Künstler zu konzentrieren. Der persönliche Austausch und die überschaubare handwerkliche Dimension des Unternehmens liegen ihm am Herzen. Sicher käme die Großproduktion dem Kunstbetrieb da draußen entgegen, bemerkt Dietrich halb despektierlich. »Aber für mich passt es, wie es ist«. Zu viele Projekte parallel, das funktioniere nicht. Es gehe nicht nur um den Raum in der Werkstatt, auch in seinem Kopf müsse genug Platz sein.
THOMAS SCHÜTTE, KONRAD FISCHER GALERIE, DÜSSELDORF, BIS 29. OKTOBER 2016, TEL.: 0211/685908
»RICHARD DEACON. ON THE OTHER SIDE«, LANGEN FOUNDATION, NEUSS, BIS 5. MÄRZ 2017, 02182/570115
»RICHARD DEACON. UNDER THE WEATHER«, SKULPTURENHALLE THOMAS SCHÜTTE, NEUSS, BIS ENDE DEZEMBER 2016, TEL.: 02182/8298520