Dies ist kein Roman. Auch kein echtes Tagebuch, so wenig wie ein fiktives. Es ist die chronologisch datierte – somit struktur- und formsichere – Rekonstruktion von Tagesabläufen, Alltags-Geschehnissen, Eindrücken und Gedanken in Gegenwart und Vergangenheit des Gerbrand Bakker, der mit wunderbaren Büchern wie »Oben ist es still« und »Der Umweg« zu den großen europäischen Erzählern gehört. Es sind zurückhaltend offene Geschichten über Tode, unsagbare Einsamkeit, zerstörtes Leben, verfehlte Liebe, über Mensch, Tier und Natur. All das findet sich ebenfalls in »Jasper und sein Knecht«, in dem sich das Verhältnis Herr und Hund umkehrt.
Wie es um den Autor bestellt sein müsste, ahnt man beim Lesen seiner Romane. Das bestätigt sich und verblüfft gleichwohl: Bakker, geboren 1962 im Westfriesischen, hatte es nicht leicht mit sich. »Unverträglich«, wie in Zeugnissen stand. Ein Sorgenkind, Einzelgänger, kein heiteres Gemüt, abwehrbereit, »emotionale Straßensperren« errichtend, nicht geschaffen für Verbindlichkeit und bürgerliche Konvention; jemand, für den eine »ausführliche Gebrauchsanweisung« nötig sei; indes ein Mensch der Freundschaften.
Er schreibt – beiläufig, trocken, ohne Prunk und Aufwand und im guten Sinn schamlos, nach seiner Art – über seine jungen Jahre, das Elternhaus, die Geschwister, qualvolle Probleme mit Haut (»ein Klumpen rohes Fleisch war ich«) und Zähnen, sein Schwul-Sein, die Nöte damit, das Ideal des Begehrten, Sublimierung und passives Nachgeben, über seine Depression und Schmerzempfindlichkeit. Er berichtet von schlimmen dunklen Phasen während des Studiums in Leeuwarden und Amsterdam, von Auftritten in einer Theatertruppe, Reisen in das für ihn »passende« England, Irland, Schottland und Wales, wo sein Werk mehrfach Auszeichnungen erhält.
Im Grunde setzt Bakker Duftnoten wie Jasper, der leicht autistische, schwierige, schon nach drei Jahren blind werdende und dann sterbende schöne Hund aus Griechenland. »Immer ist was mit dem Kind«, hieß es früher über Gerbrand. »Immer ist was mit dem Hund«, erlebt sein treuer »Knecht«.
Bakker pendelt zwischen Amsterdam und der Eifel, deren Landschaft ihn nicht ans heimische Nordholland erinnert und wo er an seinem Haus von 1739 plant, baut und pflanzt. Bakker, der Handwerker, Selbstversorger und Vogelfreund. Bakker, der Sozial- und Kulturarbeiter, Sprach- und Literaturwissenschaftler sowie diplomierte Gärtner und Eisschnellläufer (im »unbeabsichtigten Gelingen« sieht er die Verbindung zum Schreiben). Seltsam, wie gern man diese Selbstbestimmung und Selbsteinübung liest, die zum Einverständnis eines »sanften Kämpfers« mit sich führt und den Möglichkeitsmodus partiell mit dem Wirklichen versöhnt: Dass sich aus einem beschädigten Leben (Gibt es andere Leben?) Lebensmut schöpfen lässt! Wer etwa den Solitär W.G. Sebald schätzt, wird bei Bakker, der in das Buch vier private Fotografien und Bilder einstreut, ein Beinahe-Glück finden.
Gerbrand Bakker: »Jasper und sein Knecht«, Suhrkamp, Berlin 2016, geb., 448 S., 24 Euro Lesetermine: 27. September 2016, Heine Haus, Düsseldorf, 28. September, Buchhandlung Korn, Wesel; weitere Lesungen in Nottuln, Stiftsbuchhandlung (6. Oktober) und Köln, Buchhandlung Ehrenfeld (7. Oktober).