Der Name klingt ein bisschen nach Christen-Pop, nach Halt und Orientierung in einer unübersichtlichen Welt – und ist doch eine gezielt gesetzte Finte. Seit gut zwölf Jahren machen »Festland« Songs, die einem sehr charmant den Boden unter den Füßen entziehen, sobald er festgetreten scheint. Verantwortlich dafür sind vor allem die deutschen Texte, die vom heimlichen vierten Bandmitglied Fabian Weinecke stammen.
Der 2012 verstorbene Weinecke war bildender Künstler, dessen Bilder und Zeichnungen die Cover von »Festland« prägen. Die oft nur wenige Zeilen umfassenden aphoristischen Texte bauen romantische, gelegentlich kitschige Bilder auf, um sie gleich darauf bröckeln zu lassen. So hieß es im Titelsong des vielgelobten 2006-Albums: »An meinem Fenster wachsen Blumen / Sie versperren mir die Sicht«. Wie das Schöne stören und im Weg sein kann, so kann doch auch aus dem Bedrohlichen – in nur einer Zeile – etwas Beruhigendes erwachsen.
Als DJ in der House-Szene
Auch musikalisch bewegt sich ihr Pop auf unsicherem Terrain. Der Kontrabassist Dietmar »DDFM« Feldmann studierte Jazz, Joachim »Yo« Schaefer klassische Violine, spielte bei der Band »Marilyn’s Army« und war lange als DJ und Produzent in der House-Szene unterwegs, Schlagzeuger Thomas Geier ist Autodidakt, begann bei der legendären Proto-Hamburger-Schule-Band »Die Regierung« und wechselte dann ebenfalls in die elektronische Musik. Spuren aller individuellen Musikerbiografien vereinigen sich im Intelligenz-Pop von »Festland«. Die Sampling- und Loop-Techniken des House treffen auf mehrstimmigen Falsettgesang und komplexe, vom Jazz beeinflusste Rhythmen. Doch während die ersten beiden Alben noch tatsächlich mit der Verbindung von Elektronik und akustischem Instrumentarium arbeiteten, setzt das nun erscheinende »wenn doch die Winde wehn …« nahezu ausschließlich auf reduzierte akustische Besetzung. Als Weinecke starb, habe er sich gewünscht, dass Festland zu seiner Trauerfeier spielt, erzählt Schaefer, »da mussten wir überlegen, wie das zu realisieren ist, und haben dann zwei Songs nur für Geige, Kontrabass und kleine Percussion arrangiert«. Besonders weil der mehrstimmige Gesang stilprägend für die Band ist, funktionierten die Songs auch in der reduzierten Besetzung und wurden sogar unmittelbarer, weil die Texte noch mehr Platz zur Entfaltung bekamen. Folglich übersetzten Festland weitere bestehende Songs in die kleine Besetzung und spielten sie auf intimen Klubkonzerten; schließlich entstanden immer mehr neue Songs ebenfalls nur für akustisches Instrumentarium.
Joseph von Eichendorff vertont
Auf verblüffende Weise zeigt das jüngste Album, dass die Ideen der elektronischen Popmusik nicht an die entsprechende Klangerzeugung gebunden sind. Wenn »Festland« den Kraftwerk-Klassiker »Schaufensterpuppen« covern, tritt nicht der Eindruck von Mangel auf. Die Version fördert den tief romantischen Urgrund zutage, der jenseits des futuristischen Sounds immer in Kraftwerk-Songs schlummert. Umgekehrt verhält es sich mit dem letzten Stück des Albums: In »Kuehler Grund« vertonen sie die Poesie des Joseph von Eichendorff und versetzen sie in einen psychedelisch schwebenden Krautrock-Kosmos, der auf wabernden Gong- und Becken-Wellen der Apotheose entgegensurft.
Festland, »wenn doch die Winde wehn …« erscheint am 22. September 2016; Release-Konzert: 24. Sept., Essen, Maschinenhaus Zeche Carl