1535 schon wusste ein gewisser Sylvestro Ganassi um die einzigartigen Möglichkeiten der Blockflöte. So schrieb er auf das Titelblatt seiner Blockflötenschule »Opera intitulata La Fontegara«: »Und wie der Maler die Werke der Natur mit verschiedenen Farben nachahmt, kann das Instrument den Ausdruck der menschlichen Stimme durch die Atemgebung und durch die Schattierung des Tones […] imitieren.« Wie recht Signore Ganassi hatte, soll fast fünfhundert Jahre später der südafrikanische Blockflötist Stefan Temmingh beweisen. Zusammen mit der deutschen Sopransirene Dorothee Mields hatte er 2013 das Barock-Album »Inspired by Song« aufgenommen. In Arien und Songs etwa von John Dowland und Henry Purcell verwandelt er sich mit täuschend echten Liebes- und Leidensseufzern auf der Blockflöte in einen wunderbaren Sänger aus Fleisch und Blut.
Doch der mit wichtigen Schallplattenpreisen ausgezeichnete Temmingh kann nicht nur die menschliche Stimme in ihren Ausdrucksfacetten nachahmen. Auf der gerade veröffentlichten Aufnahme »Birds«, die der 38-Jährige mit der Nachtigall Mields einspielte, übernimmt er bei Rameau perfekt die Rolle eines gackernden Huhns. Oder zirpt und tiriliert im Vivaldi-Concerto »Il Gardellino« wie der gleichnamige Distelfink. Für Temmingh hat der Prete rosso Vivaldi mit seinem Blockflötenkonzert fulminant einen »bunten Vogel mit schöner Stimme« verewigt. Dem in Kapstadt geborenen, seit 1998 in München heimisch gewordenen Musiker gelingt es mit seinen exquisiten Klangfarbenspielen, dem Piepmatz ein edles, pfauengleiches Gefieder anzulegen.
Das klingende Vogel-Porträt ist nur eines von fünf Blockflötenkonzerten Vivaldis, mit denen Temmingh gemeinsam mit dem La Folia Barockorchester beim »summerwinds«-Festival sowie bei der Internationalen Musikwoche in Bad Berleburg gastiert. Auf seinem handlichen Blasinstrument verblüfft er mit atemberaubenden Koloraturen, Trillern und Läufen, als wären die Kunststückchen das Leichteste von der Welt. Was für Temmingh auch stimmt. Blockflöte spielt er seit dem sechsten Lebensjahr. Im Gegensatz zu vielen Altersgenossen, die dem Holzstück nicht viel abgewinnen konnten, wollte er nie etwas anderes. Für ihn gibt es »kaum ein Blasinstrument, auf dem man so perfekt artikulieren kann, oder, wenn man will, auch hauchen«.
Temmingh ist oft gebuchter Gast bei Alte-Musik-Festivals. Gleichermaßen erfolgreich setzt er sich für neue Stücke ein, die nicht selten in seinem Auftrag komponiert werden. Überhaupt bildet er mit Dorothee Oberlinger und Maurice Steger jene Top 3 an Weltklasse-Musikern, die die Blockflöte – vielleicht noch mehr als der legendäre Frans Brüggen – als eigenständiges, ausdrucksstarkes Instrument im Konzertleben verankern. Anders als die Kollegin Oberlinger, die ein Poster ihres Idols Brüggen im Jugendzimmer hängen hatte, sieht Temmingh das Erbe des niederländischen Doyens eher kritisch. Er respektiert zwar, dass durch ihn die Blockflöte aus der Nische befreit wurde. Doch in Brüggens Aufnahmen vermisst er im Grunde das, was sein eigenes Spiel ausmacht: absolute Hingabe an die Blockflöte.
1. Juli 2016, Apostelkirche Münster
4. Juli, Schloss Berleburg, Bad Berleburg