TEXT VOLKER K. BELGHAUS
Keine Ahnung, woher diese Assoziation kommt, aber nach so vielen männlichen Geschlechtsteilen ausgerechnet Nürnberger Rostbratwürstchen zu servieren, das hat schon was. Vor allem, wenn sie mit einem Klecks Senf aufrecht stehend in kleinen Einmachgläsern unter den Journalisten verteilt werden. Das Catering der Bundeskunsthalle hat es halt gut gemeint und sich an der Kulinarik des fränkischen Bubenreuth orientiert, wo Jürgen Teller aufgewachsen ist. Trotzdem hat man völlig andere Bilder im Kopf, wenn man vorher durch Tellers Bilderkosmos gestreift ist.
Mit Teller konnte man in den 90er Jahren als Fotografie-Student prima gesetztere Professoren erschrecken, vor allem jene, die August Sander oder das Ehepaar Becher für den Maßstab hielten. Leute wie Teller, Wolfgang Tillmans oder Daniel Josefssohn spiegelten mit ihrer Art von Fotografie stattdessen das Lebensgefühl des Jahrzehnts – bunt, lässig, distanzlos, schamlos, beiläufig und assoziativ. Ihre Bilder erschienen in Lifestyle- und Modemagazinen, später auch in Werbekampagnen, ihr Stil wurde vom studentischen Nachwuchs zunehmend kopiert und zitiert – Schamhaar neben Sonnenuntergang.
Jürgen Teller, 1969 in Erlangen geboren, lebte und arbeitete schon seit 1986 in London. 1991 fotografierte er Kurt Cobain und dessen Band Nirvana, was ihn schlagartig berühmt machte. Man hat einige seiner Motive noch im Kopf: Charlotte Rampling nackt vor der Mona Lisa im Louvre, die posierende Vivienne Westwood (ebenfalls nackt), Tellers Mutter am Grab von Tellers Vater (nicht nackt, das hat Teller später selbst übernommen), während im Hintergrund schwere Baumaschinen den Boden umpflügen. Verschwitzte Achselhaare, eine traurige Kate Moss, Vogelschwärme und das nackte und ungeschminkte Model Kristen McMenamy, mit Zigarette im Mundwinkel, während ihre Brust mit einem roten Herz und »Versace« beschriftet ist.
Lange her ist das alles, trotzdem mag man Jürgen Tellers aktuelle Ausstellung »Enjoy your Life« nicht als Retrospektive verstehen. Erstens ist der Mann noch lange nicht fertig mit seiner Arbeit, zweitens sind nicht nur seine alten Fotos zu sehen, drittens strickt diese Schau so viele Erzählstränge zwischen Vergangenheit und Gegenwart, dass man irgendwo auf der Metaebene schon mal den Faden verlieren kann. Apropos Faden, geht es nach den Bonner Kuratoren, soll die Ausstellung »einen roten Faden durch das Haus weben«. Aber auch den muss man, aufgrund der Raumaufteilung, suchen. Im Foyer jubelt Teller vielfach und hallenhoch mit Freunden und Familie beim Public Viewing – »Siegerflieger« heißt die fast schon aufdringlich überemotionale Fotoserie. Dagegen wirkt seine fotografische Dokumentation des FC Bayern, »My Man Crush, Pep Guardiola«, für einen bekennenden Fan merkwürdig distanziert. In einem Nebenflur stehen zwei Seniorinnen etwas ratlos vor dem riesigen Print, auf dem sich das Reality-Soap-Sternchen Kim Kardashian auf lehmigem Erdhaufen räkelt. Der Rest verteilt sich auf zwei Räume, die Fotos sind rahmen- und namenlos an die Wand gepinnt. Man muss sich in der Kunst- und Modewelt schon etwas auskennen, um die teils prominenten Modelle zu identifizieren.
Ein übergroßer Teller aus Fieberglas, auf den das bekannte Foto von Tellers strahlendem Sohn beim Schaumbad gedruckt ist, empfängt den Besucher. Man könnte es für einen einmaligen Anflug von Dekorationskitsch halten, aber es wird nicht besser. Teller hat nämlich nicht nur festgestellt, dass er mit Nachnamen Teller heißt, sondern dass sich mit dem Namen auch schick herumspielen lässt. So hat er den schlichten, weißen Porzellanteller zu seinem Stellvertreter erklärt. Teller gleich Teller. Oder auch Story-Teller, wie er später im Pressegespräch anmerkt. Vorteil für ihn: Der Mann ist allgegenwärtig. Ist er nicht sowieso selbst auf einem Foto zu sehen, ist es stattdessen ein Teller. Auch wenn ein nackter Penis auf dem Teller liegt, der von einem männlichen Modell zwischen die Hinterbacken geschoben wird, oder der tolle Schauspieler Lars Eidinger nackt mit einer durchsichtigen Nylonstrumpfhose am Körper, sich mit Erde beschmutzend, auf einer übergroßen Version von ihm herumturnt.
Teller gleich Teller. Ich und die Anderen. Seine Fotos spielen mit mehreren Ebenen, oft druckt er seine bekannten Motive auf Teller, die er dann in anderen Umgebungen inszeniert und erneut abfotografiert. Sogar im Ausstellungsraum stehen einige hohe Stapel von Tellern. Selbstinszenierung ist man von ihm ja gewöhnt, aber dieses Teller-Ding läuft Gefahr, gehörig zu nerven. Was wäre eigentlich, wenn der Kollege Daniel Josefssohn auf die Idee käme, seinen Namen wörtlich zu nehmen? Stünden dann überall Weihnachtskrippen? Am besten funktionieren Tellers Teller in seiner Fotoreihe »Mit dem Teller nach Bonn«, die exklusiv für die Bundeskunsthalle entstanden ist. Dafür hat er, gewandet in einen weißen Bademantel und Wollmütze, nicht nur stapelweise Geschirr in den Kanzlerbungalow geschleppt, sondern auch das Supermodel Eva Herzigóva. Sie trägt die Teller mit Fassung und großer Eleganz und posiert leicht entrückt am herbstblattübersäten Kanzlerpool.
Die Tellerstapel im Ausstellungsraum geben übrigens einen hübschen Hindernisparcours für Fotografen und Journalisten ab, als Jürgen Teller braungebrannt in neonpinken Badeshorts hereinkommt und direkt eingekesselt wird. Flirrende Modebloggerinnen machen Fotos, das Kamerateam vom ZDF filmt ihn und seine Hose entzückt von hinten, eine Journalistin fragt, was für ihn Heimat bedeute. »Da, wo ich aufgewachsen bin. In London wohne ich«, antwortet er leise. Den Rest würde man oben finden. Oben, das ist der zweite Raum in der ersten Etage, der weitgehend tellerfrei gehalten ist. Dort hängt seine Fotoserie »Irene im Wald«, die im Gegensatz zu der ganzen Glamour-Randale still und abgeklärt daher kommt. Und sehr persönlich. Sie dokumentiert einen herbstlichen Spaziergang seiner Mutter Irene (der Vater hat sich umgebracht) und anderer Verwandter in Bubenreuth. Es sind fast unspektakuläre Bilder – Menschen stehen im Gehölz oder sitzen auf Bänken –, die durch den unter den Fotos verlaufenden Text Tellers nah und autobiografisch werden und der überinszenierten Person des Bildermachers eine Facette hinzufügen.
Aber der Mann kann auch albern – etwa in dem Kurzfilm, in dem eine angezogene Charlotte Rampling in einem Schloss ernst auf einem Flügel spielt, während Teller sich völlig nackig und enthemmt auf dem Instru-
ment herumwälzt. Ein anderes Beispiel dafür ist die Bilderserie »Kanye, Juergen & Kim« von 2015. Kim Kardashian war der Meinung, dass eine coole Fotoserie von Teller mit ihr im Mittelpunkt ihrem Image zuträglich wäre. Gesagt, getan, das Shooting sollte im französischen Château d’Ambleville stattfinden, ihr Mann Kanye West war für das Styling verantwortlich. Teller war mit dem eleganten Schauplatz nicht glücklich und ließ Frau Kardashian stattdessen auf tristen Feldern abseits des Schlosses, neben Baumaschinen und auf Erdhügeln in einem miederfarbenen Body,
einem goldenen BH und schwarzen Overknee-Stiefeln mit dem immer gleichen Egal-Gesicht posieren. Er selbst turnte in kurzer Hose, Mütze, knallroter Thermojacke und Skistöcken durchs Gelände und untergrub lustvoll die Image-Optimierungen der beiden. Auf diesen Fotos sind außer ihm glücklicherweise keine weiteren Teller zu sehen, aber auch keine handschriftlichen Notizen wie bei »Irene im Wald«. Dabei kann diese Kommentarfunktion mithelfen, das gezeigte Foto bewusst um eine Ebene zu erweitern.
Wie bei seinem Foto »Die zu enge Mode«, wo er halbnackt und fast trostsuchend in den Armen von Charlotte Rampling liegt. Kein schlechter Platz. Eine Notiz erklärt das Verhältnis der beiden: »Am nächsten Tag fragte mich Charlotte, was wir jetzt machen. Bin ins Badezimmer, eine kurze Sporthose war das Einzige, was mir passte, kam raus, sie lachte, ich setzte mich ihr gegenüber und sagte, ich könne sie ja küssen und ein bisschen an ihren Brüsten rumfummeln. Totale Stille im Raum, wie eine Ewigkeit kam’s mir vor. So was Blödes hab ich noch nie gesagt, und ich fing an zu schwitzen. Sie nahm einen Zigarillo, rauchte elegant und sagte: ›Ok, fangen wir an, und ich sag dir, wenn’s zu viel wird‹.« Willkommen in der Normalität. Jürgen Teller ist sowieso immer dann am besten, wenn er den Glamour mit der Realität zusammenkrachen lässt. Wenn Kim Kardashian im Schlamm krabbelt. Oder zwei Frauen in der Abenddämmerung vor dem Schloss von Versailles zusammen eine rauchen, und man weiß, dass die Dame neben Tellers Tante Gisela tatsächlich die ewige Catherine Deneuve ist. Und das ganz ohne Penis oder Teller auf dem Foto.
Jürgen Teller: »Enjoy your Life«
Bis 25. September 2016;
Bundeskunsthalle, Bonn
Tel. 0228/ 9171-200
www.bundeskunsthalle.de