Erst zögert Shylock noch. Das Messer in der Hand steht er hinter Antonio, der seine Brust entblößt hat und versucht, nicht in Panik zu geraten. Shylocks Augen wandern von einer Seite zur anderen, als suche er Rat oder einen Menschen, der ihn im letzten Moment noch erlösen könnte. Aber es gibt keine Rettung für den Juden (Michel Papineschi). Schließlich fällt sein Blick auf das Messer. Entsetzen liegt in seinen Augen, Fassungslosigkeit angesichts dessen, was gleich geschehen wird. Und dann – er macht nur einen kleinen Schritt nach vorn, umfasst Antonio mit dem linken Arm und setzt die Klinge an, begierig, sich vertragsgemäß sein Pfund Fleisch zu holen.
Etwas entlädt sich in dem einen blitzartigen Augenblick, auf den Pascal Fabers Inszenierung von Shakespeares »Le Marchand de Venise« mit erschreckender Unausweichlichkeit zustrebt. Die Produktion der französischen »Compagnie 13« wird zwar nur an einem Abend (10. Juni) im Globe Neuss gastieren, markiert aber gewiss einen Höhepunkt des 26. Shakespeare Festivals, das in dem originalgetreuen, im Maßstab jedoch ein wenig verkleinerten Nachbau des berühmten Londoner Theaters stattfindet. Faber konzentriert sich in seiner extrem komprimierten, gerade mal anderthalb Stunden dauernden Bearbeitung des »Kaufmanns« ganz auf die Psychologie der Figuren. Oft stehen die Darsteller im Halbdunkel der weitgehend leeren Bühne. Ein Spot lenkt dann die Aufmerksamkeit gezielt auf ihre Gesichtszüge. Es entwickelt sich enorme Spannung und Dringlichkeit.
Reduktion scheint im Moment das Zauberwort in der Beschäftigung mit Shakespeares Werken zu sein. Diesen Eindruck erweckt zumindest die Neusser Auswahl im 400. Todesjahr des elisabethanischen Dichters. Wie »Le Marchand de Venise« dauert auch Kelly Hunters »Hamlet: Who’s there?« (13. & 14. Juni) nur 90 Minuten; dennoch fehlt in der Produktion des englischen »Flute Theatre« letztlich nichts, weder die berühmten Monologe noch die zentralen Szenen. Man hat sie nur stärker zusammengezogen und zudem das Personal verringert. Aus dem Grübler Hamlet wird ein innerlich zerrütteter junger Mann, der vom Geist seines Vaters besessen ist. Von der oft beschworenen Melancholie des Dänen-Prinzen bleibt in Mark Quartleys expressivem Spiel nur wenig. Der Seelen- und Geisteszustand seines Hamlet ist weitaus düsterer.
Eine ganz andere Form der Reduktion betreibt Veit Schubert in seiner mit Studenten der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« am »Berliner Ensemble« erarbeiteten Inszenierung von »Zwei Herren aus Verona« (2. bis 4. Juni). Die Bühne ist ein an drei Seiten von weißen Vorhängen umgebener kleiner Raum, in dem alles auf das Theater und seine Mittel verweist. So stürzen sich die Darsteller mit unbändiger Lust am Spiel in das burleske Treiben um zwei Freunde, die einander immer wieder hintergehen. Die Verkleidungen sind ähnlich irrwitzig wie die Situationen, in die sie geraten.
Eine besondere Adaption gastiert mit »Der Sturm oder Die Insel der zauberhaften Wesen« (acht Vorstellungen) in der Wetthalle am Globe. Das »Seifenblasen-Figurentheater« hat Shakespeares mysteriöses Stück in »ein Spiel mit Figuren, Menschen und Schatten« verwandelt. Elke Schmidt und Christian Schweiger betonen mit ihren Marionetten den fantastischen Charakter des Traum-Spiels. Prosperos Insel als Märchenwelt für Kinder ab sechs Jahren.
Shakespeare Festival: bis 25. Juni 2016.