Er geht, um wiederzukommen. Im Spätsommer 2017 endet die Ruhrtriennale für Johan Simons, im September 2018 beginnt seine Intendanz am Bochumer Schauspielhaus. Für das einstmals wichtigste NRW-Theater ist es nicht die Fortsetzung von irgendetwas, sondern ein Neuanfang, den man mit einem dankbaren Stoßseufzer aufnimmt. Simons, der selbst in jungen Jahren die Ära von Zadek und Peymann erlebt hat, steht für produktive Weiterarbeit am Mythos dieses Theaters.
Der Findungsprozess für einen Nachfolger des 2017 nach Frankfurt am Main wechselnden Anselm Weber, den dieser mit Klagen über die Finanz-Ausstattung und den Bauzustand des Hauses an der Königsallee begleitete und der sich nun doch bereit erklärt, das Interim 2017/18 neben Olaf Kröck als Chefdramaturg zu organisieren, hat zu lange gedauert. Zudem war er von Misstönen bestimmt, die Kulturdezernent Michael Townsend verursachte, indem er seine Kandidaten-Suche derart geheimniskrämerisch (diskret wäre die positive Umschreibung) betrieb, bis der Verwaltungsrat des Schauspielhauses auf die Barrikaden ging. Zumal es Gerücht gab, Ex-Bochum-Intendant Matthias Hartmann sei mit einem Großsponsor und dessen Millionen in der Hinterhand im Gespräch (Townsend bestreitet es vehement und nennt es »Ente«), was von einigen in der Stadt begrüßt, von anderen nicht ernst genommen oder befürchtet wurde. Die zeitliche Kontaktnahme zu Simons lässt Townsend im Vagen, man kann davon ausgehen, dass sie erst sehr spät erfolgte, innerhalb der letzten zwei Monate. Im Grunde fällt Townsend der vielversprechendste aller möglichen Kandidaten – auch mit Blick auf die Tradition, dass Bochum einen starken Regisseur als Intendanten bekommt wie zuvor Zadek, Peymann, Steckel, Haußmann – unverdient in den Schoß.
Zentrum von Simons’ künstlerischer Tätigkeit soll sein »Sehnsuchtsort« Bochum sein, flankiert von Rotterdam und Gent, wo der 1946 geborene Niederländer schon von 2005 bis 2010 das flämische NT Gent geleitet hatte, bevor er an die Münchner Kammerspiele wechselte (damals übrigens vom Ex-Bochumer Kulturdezernenten Hans-Georg Küppers berufen). Im Dreiländereck sollen Potentiale verbunden, Kooperationen und Koproduktionen befördert, auch die Internationalisierung des Ensembles hergestellt werden. Schauspieler wie Elsie de Brauw und Benny Claessens, die schon in München dabei waren, werden nach Bochum kommen. Und überhaupt das Beste vom Besten. Der Radius, so Simons, soll sich ausdehnen, so wie in München etwa Verbindungen zum baltischen Kulturraum erwuchsen. Das Motto »Boropa« unter Anselm Weber setzt sich so verändert fort.
Ob die Eigenständigkeit des Schauspielhauses Bochum von dieser Neuordnung tangiert wird oder das deutsche Stadttheatersystem Impulse erhält, ist offen. Johan Simons jedenfalls ist integer und Garant künstlerischer Autonomie, seine Berufung eine Entscheidung von europäischem Format – und Gewinn für die Region, zu der er Affinität hat und der er auf der Bühne Ausdruck gab – von Ralf Rothmanns »Milch und Kohle« unter dem Titel »Sentimenti« und Viscontis »Fall der Götter« für die Ruhrtriennale von Gerard Mortier bis zu Wagners »Rheingold« unter Tage. Er kann der Stadt das Bochum-Gefühl (zurück-)geben.
Die Nachrichten über die finanzielle Ausstattung (Etat des Bochumer Schauspielhauses: 22 Millionen Euro) verheißen wenig Gutes. Townsend betont, die Zukunft des »kulturellen Flaggschiffes« sei »grundsätzlich« gesichert und »Mittel müssen bereit gestellt« werden. Das hört sich wattig an. Simons kennt von Hause aus eine Kulturförderung, in der Sicherheiten so nicht existieren. Da ist er Schlimmeres gewohnt als Bochum, wenngleich durch München und auch durch die Triennale verwöhnt. Aber sein Theater ist nicht auf Luxus gegründet.
Euphorisch verkündete Simons nach seiner Wahl am 5. Februar »ein Theater ohne Grenzen. Ein Theater, das im Zentrum des neuen Europas die Welt einlädt und sie mit gestalten will…. Ein Ort für das Ruhrgebiet, für Arme und Reiche, für Jung und Alt, für Weiße und Schwarze, für Christen, Muslime und Ungläubige, alte Europäer und neue Deutsche, Immi- und Emigranten, für 140 Sprachen und noch mehr Möglichkeiten. Ein Haus für Schauspiel, Literatur, Musik, Tanz und Kunst. Ein Haus ohne Grenzen. Ein Haus der Kulturen.« Wenn das nach Chris Dercon klingt und den Ambitionen für die Berliner Volksbühne, mag die Assoziation nicht ganz falsch sein. Allein, in Bochum gab es wahrlich keine Castorf-Ära, die es jetzt zu betrauern gälte. Wobei Simons im Kontrast zu modischer Installations- und Performance-Kunst auch für gewichtige dramatische Stoffe steht.
Das Budget, so hat Simons im Gespräch mit k.west klar gestellt, muss für ihn »die künstlerischen Positionen« garantieren: »Das Geld muss in die Kunst fließen«, darf nicht durch Tariferhöhungen und Personalkosten abgeschmolzen werden. Würde diese Absprache verletzt, »kann ich ein halbes Jahr später weggehen. Dann ist von mir aus Schluss.« Ein klares Wort. Für den Anfang.