Text Stefanie Stadel
Die Pelz-Tasse ist zur Ikone geworden. Die komplizierte Persönlichkeit dahinter und deren teils konfuses künstlerisches Werk sind dagegen kaum bekannt. Mit ihrem absoluten Freiheitsdrang hat Meret Oppenheim sich ihr Leben und Schaffen nicht leicht gemacht. So zumindest scheint es in der Werkschau, die das Kunstmuseum Ahlen der deutsch-schweizerischen Ausnahmekünstlerin widmet.
Eines vorweg: Oppenheims populäres Masterpiece fehlt. Ahlen will ohne jenes Gefäß im Gazellen-Fell auskommen, das sich früh schon wie ein Schatten über Meret Oppenheims Schaffen legte. Die Tasse bleibt in New York, im Museum of Modern Art, wo sie seit Jahrzehnten als Ikone des Surrealismus unter der Plexiglashaube steht. Wahrscheinlich wäre Oppenheim nicht unglücklich über die Lücke in der Ausstellung, die das Kunstmuseum in Ahlen ihr widmet und sich dabei weitestgehend auf Stücke aus der Sammlung des Hamburger Galeristen Thomas Levy stützt.
Malerei ist nicht dabei. Zu sehen sind Zeichnungen, Druckgrafik, Objekte. Skizzierte Gesichter, reduzierte Radierungen und fast abstrakte Holzschnitte. Kurioses Schmuckdesign, untragbare Mode und Möbel mit Vogelfüßen. Unterirdische Schleifen und schneckenförmige Schlangengedichte. Hinzu kommen Porträt-Fotos, die belegen, wie Oppenheim auch äußerlich durch Figur, Frisur, Kleidung eine Festlegung konterkarierte. Sie war überzeugt: »Aus einem großen Werk der Dichtung, der Kunst, der Musik, der Philosophie, spricht immer der ganze Mensch. Und dieser ist sowohl männlich als weiblich.«
Das hier Versammelte genügt, um einen guten Eindruck zu gewinnen von der Frau, der Künstlerin mit ihrem unbedingten Drang nach Unabhängigkeit, den oft verzweifelten Versuchen, sich zu befreien, sowohl von dem sie einengenden Klischee der Weiblichkeit als auch vom pelzigen Frühwerk im Fahrwasser des Surrealismus. Auch wenn Oppenheims Œuvre gerade ihm letztlich Ruhm und Wirkung verdankt.
Noch 1975 zeigt sich die Künstlerin mit stoppelkurzem Haar offenbar genervt, als sie zur Werkschau im Duisburger Lehmbruck Museum mit dem pelzigen Ding posieren sollte. Obwohl sie sich damals sicher sein konnte, ein Publikum zu haben, das nicht allein ihre Anfänge im Auge hatte, das ihr Werk vielmehr schätzte, weil es feministische und konzeptuelle Gedanken erkannte.
Ahlen hat sich nicht mal bemüht, das populäre Werk aus dem MoMA nach Westfalen zu holen. Doch es bleibt dabei: Oppenheims Geschichte lässt sich kaum ohne Tasse erzählen. Will man sie verstehen, scheint das Requisit unverzichtbar. Ebenso wie die künstlerischen Anfänge der 18-jährigen Schul-Abbrecherin, die aus Lörrach kam und sich schnell heimisch fühlte im Kreise der Pariser Surrealisten. Arp, Breton, Duchamp – Meret kannte alle. Auch Alberto Giacometti, dessen Ohr sie 1933 zeichnete und ihm dabei eine kleine Faust und florale Formen andichtete.
Mit dem über 20 Jahre älteren Max Ernst verband sie eine heftige Liebesbeziehung; von Man Ray ließ sie sich splitternackt an der Druckerpresse ablichten. Das bekannteste aus einer Reihe von Fotos, die Man Ray damals schoss, hängt in Ahlen und liefert einen ersten Beweis für Mut und Eigensinn der Künstlerin, die sich nicht als passive Muse vereinnahmen ließ, sondern vor der Kamera des Kollegen ihre eigene Show abzog.
»Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie nehmen«: eine Äußerung Oppenheims, die sich nicht nur auf das Foto-Shooting mit Man Ray beziehen lässt, sondern ihr Leben und Werk bestimmt. Schon mit 17 hatte sie beschlossen, ledig und kinderlos zu bleiben, in der Überzeugung, nur so ihre Freiheit ausleben zu können. Ein Jahr darauf bringt sie das gruselige »Votivbild Würgeengel« zu Papier – die geflügelte Frau mit exaltierter Geste und geköpftem Baby im Arm.
Mit 22 Jahren trennte Oppenheim sich von Max Ernst, wohl aus Angst, die Beziehung zu dem älteren, arrivierten Kollegen könne das eigene unabhängige Künstlerinnendasein gefährden. Kurz darauf dann der Coup mit der Tasse: Als Alfred Barr, Direktor des Museum of Modern Art, das Werk sah, griff er sofort zu und zog es unversehens in den Wust surrealistischer Interpretationsversuche.
Was nun passierte, ist bezeichnend: Oppenheim verließ Paris und geriet in eine lange Krise. Kaum etwas schuf sie in jener Zeit. Fast 20 Jahre brauchte es, bis das Tief überwunden war und sie sich wieder fing. Was sie dann hervorbrachte, ist thematisch, motivisch, technisch schwer zu fassen und scheint mitunter weniger auf das Kunstprodukt als auf die Kopfarbeit dahinter abzuheben – im Sinn der Konzeptkunst, der Oppenheim einiges vorwegnahm.
»Die Journalisten fragen nach den Beziehungen zu A, zu B, zu C, etc.«, so beklagte sie sich. Die Ausstellung dreht die Perspektive um und zeigt mit Stücken aus Oppenheims Umfeld, welche Wirkung sie dort hinterließ, wie ihre Ideen von Freunden aufgenommen und weitergedacht wurden. Auch für ironische Selbstzitate war Oppenheim in reiferen Jahren offen. Wenn sie das Tassen-Motiv im Siebdruck à la Warhol vermasst oder das Jahrhundertwerk im superkitschigen Souvenir aufleben lässt, scheint der alte Groll beinahe verflogen.
»DIE FREIHEIT MUSS MAN NEHMEN. MERET OPPENHEIM & FREUNDE«, KUNSTMUSEUM AHLEN, BIS 1. MAI 2016, TEL.: 02382 918330