Text: Guido Fischer
Die goldenen Zeiten der Industriemetropole Cleveland sind vorbei. Im Zuge des wirtschaftlichen Niedergangs wuchsen die sozialen Spannungen, während die Bevölkerungszahl der ehemals fünftgrößten Stadt der USA rapide auf nun knapp 400.000 Bewohner sank. Auch Franz Welser-Möst muss gestehen, dass es attraktivere, lebenswertere Städte für einen Profimusiker wie ihn gibt. Trotzdem hat er im letzten Jahr den Vertrag als Chefdirigent des Cleveland Orchestra vorzeitig verlängert. Bis 2022 wird er bleiben und dann stolze zwanzig Jahre im Amt gewesen sein. Dabei ist der gebürtige Österreicher ein gefragter Mann auf dem Stardirigenten-Karussell. Bis 2014 war er GMD an der Wiener Staatsoper und ist ständiger Gast u.a. bei den Salzburger Festspielen und Liebling der Wiener Philharmoniker.
Aber Welser-Möst zählt zu den ganz wenigen seiner Zunft, die auf ihrem Posten etwas Bleibendes zu gestalten beabsichtigen. Die Resonanz auf seine bisherige Arbeit mit dem Cleveland Orchestra kann sich sehen lassen. Obwohl sein Vorgänger Christoph von Dohnányi das Orchester in die Liga der legendären Big Five-Orchester der USA geführt hatte, gelang dem Klangkörper dank Welser-Möst noch ein Qualitätssprung. Man habe zwar nicht diesen effektvollen »Wumms« wie etwa die Orchesterkollegen aus Chicago oder Boston, so der aus Linz stammende Dirigent. Dafür kontert man mit einem transparenten, schlanken und dennoch körperreichen Klangbild, bei dem das Kammermusikalische einer Beethoven-Sinfonie ebenso herauskommt wie Farbnuancen etwa bei Debussy und Ravel.
Neben dem typischen Cleveland-Sound ist ein facettenreiches Repertoire ein Erfolgsgarant. Man gratulierte Anfang des Jahres mit einer Konzertserie dem Komponisten Pierre Boulez zum 90. Geburtstag, der ebenfalls als Dirigent in Cleveland Spuren hinterließ. Die fruchtbare Orchesterarbeit hat sich für den 55-jährigen Dirigenten in glänzenden Kritiken niedergeschlagen, die auch nach Gastspielen in deutschen Konzertsälen zu lesen sind.
Für die NRW-Stationen der Europa-Tour wurden imposante Orchesterwerke von Olivier Messiaen und Richard Strauss (»Eine Alpensinfonie«) ausgewählt. Welser-Möst und das Cleveland Orchestra kommen zudem mit einer Neuigkeit über den Atlantik, die Konzertveranstalter beeindrucken dürfte. Wie sie soeben mitteilen konnten, besitzen sie mittlerweile das jüngste Publikum Amerikas. 20 Prozent der Konzertgänger sind unter 25 Jahre alt. Für den beneidenswerten Zuspruch war ein junger Social-Media-Experte verantwortlich, der den Draht zu dieser Klientel glühen ließ. Zudem verknüpfte eine reiche Familie ihre Spende von 20 Millionen Dollar mit der Auflage, dass über die Zinsen ein kostenloser Konzertbesuch für alle Besucher unter 18 Jahren zu ermöglichen sei. Umfragen ergaben, dass inzwischen 90 Prozent dieser Besucher mehr als einmal kommen. Der »Dinosaurier-Effekt«, wie die Überalterung des Konzertpublikums überzeichnet wird, hat in Cleveland ausgedient. Statt dessen: Junge Laune.
Franz Welser-Möst und The Cleveland Orchestra: Werke von Messiaen & Strauss. 20. Oktober 2015, Philharmonie Köln; 22. Oktober Konzerthaus Dortmund.