TEXT: INGE HUFSCHLAG
Vor nicht langer Zeit war an der lauschigen Ecke in Düsseldorf-Oberkassel noch einer dieser neumodischen Immobilien-Läden, die ihre Schaufenster oft mit unmoralisch anmutenden Angeboten dekorieren. Ein Gentlemen’s Store passt besser hierher. Virgile Bourgueil hat ihn für sich und seine Kunden eingerichtet. »The Bespoker«. Der Name ist kein Versprecher, sondern das Versprechen erstklassiger Maßkonfektion – und mehr: eine Adresse für Tailoring, Interior, Lifestyle. Von hier aus macht Bourgueil auch Hausbesuche, bis nach Hamburg.
Als bespoken gilt ein Anzug, über dessen Werdegang sich Schneider und Kunde einig sind. Das beginnt beim Ermitteln der idealen Passform anhand eines Musteranzugs und dem Abstecken (Ärmellängen, Nackenfalten, Taillenumfang). Bourgueil in dezentem Understatement: »Selbst eine geneigte Haltung wird berücksichtigt«. Stammkunden können sich auf die Kür konzentrieren: Stoffauswahl und Design. Dann dauert es etwa vier Wochen, bis das Wunschprodukt aus dem Atelier im Store für die erste Anprobe eintrifft. Will ein überschwänglicher Kunde gleich drei oder vier Anzüge bestellen, bremst Bourgueil: »Wir machen zuerst einen. Und dann schau’n wir mal.«
Auf einem Kleiderständer hängen Muster aktueller Bestellungen. Auffallend ist ein derber dunkelblauer Baumwoll-Kurzmantel mit Samtkragen. Solche Brüche, eine Art modischer Spagat zwischen Tradition und Innovation, mag der Maßschneider. Und immer mehr Kunden mögen es auch. »Es gibt Trends, und es gibt Klassiker, meine Mäntel sind beides.« Ein klassischer Glencheck-Anzug hat ungewöhnlich große aufgesetzte Taschen. Ein Schuss Kaschmir verleiht dem sportlichen Look einen vornehmen Lüster. In einem Abendanzug aus schwerer, schwarzer, körniger Wolle fühlt sich ein Mann kaum overdressed.
Der individuelle Stil setzt sich im Vertriebs- und Marketing-Konzept fort. Ebenfalls maßgeschneidert. Bourgueil habe, sagt er, »keinen klassischen Online-Shop«. Zwar holt er seine Kunden gern ab im Internet, ähnlich wie eine renommierte Fluggesellschaft, die ihre Passagiere der Business- und First-Class mit der Limousine an der Haustür aufliest, aber dann melde er sich »persönlich«. Wenn es um eine Einladung geht, kann das schon mal mit Brief und Siegel sein, eigenhändig geschrieben auf handgeschöpftem Papier. Schon die Startseite im Internet ist ein eleganter Hinweis auf den Bruch in der Familientradition. Hummer serviert auf Nadelstreifen. In seiner Style-Post gibt der Sohn des Kochs Jean-Claude, der das berühmte »Im Schiffchen« in Düsseldorf-Kaiserswerth betreibt, auch schon mal Restaurant-Tipps.
Einen virtuellen Gentlemen’s Club hatte Bourgueil bereits zuvor: »Wer kaufen wollte, musste auf Empfehlung kommen«. Man kam darauf durch einen Blick ins Bespoker-Jackett. Wo andere ihren Namen hineinnähen, steht dort: »Tell only your best friends« – mit QR-Code. Künstliche Verknappung ist ein gutes Marketing-Instrument im hochpreisigen Segment. Dabei liegen die Preisklassen beim Bespoker kaum über denen bekannter Handelsmarken, etwa einem Boss-Anzug – sie beginnen bei 599 Euro. Verarbeitet werden Stoffe feiner italienischer Marken wie Loro Piana oder Zegna. Und auch das ist elegant: Rabatt gibt’s nicht.
Nicht nur die Mode lebt hier von der Beständigkeit des Wechsels, auch das Interieur. Bis auf den großen Tisch und die Schubladen im Gentlemen’s Store lässt sich alles erwerben. Lieferant ist ein Düsseldorfer Vintage-Store mit passendem Namen: Wandel. Eine Art Savile Row – vornehm, wie jene Straße in Londons City of Westminster – mit Augenzwinkern. Fast jedes Stück hat seine Geschichte, von der Knopf-Schachtel über den altgedienten Koffer mit nerzumwickeltem Griff; die Seidenkrawatte hängt an einem Geweih, wie nach durchwachter Nacht lässig drüber geworfen. Selbst profane Artikel wie Überschuhe aus Gummi wirken schick: außen mattschwarz, innen lila.
Lächelnd serviert Bourgueil Kaffee in einem schäbig-schönen, weiß-braunen Geschirr. Wie man das hinkriegt, hat er als kleiner Junge gelernt im Restaurant seines Vaters Jean-Claude Bourgueil, als dessen Küche noch nicht besternt war. Guter Geschmack wurde in der Familie von klein auf mit Löffeln gegessen. Daheim gab es nur »selbst gekochte Breichen«, erinnert er sich. In der Gastronomie hat der Junior auch gelernt, was Service sein sollte – bedienen.
Warum ist Virgile nicht selbst in die Gastronomie gegangen? Das war für den zu Hause »kurz gehaltenen« Jungen keine Frage: »Mein Vater ist so gut und stark, einfach unerreichbar«. Schon von seinem Taschengeld hat er sich Markenmode gekauft, in einer Düsseldorfer Maßschneiderei das Handwerk gelernt und später als Zentraleinkäufer für die Exquisit-Abteilung von Peek & Cloppenburg Erfahrung im Handel gesammelt. Seine erste Gehaltsabrechnung über 180 DM rahmte er ein: »damit ich nicht vergesse, wo ich herkomme«.
Dem Vater hat der Sohn eine Schürze aus hochwertigem Anzugstoff genäht. Die trägt der 3-Sterne-Koch in seinem Restaurant am Kaiserswerther Markt mit Stolz. Virgile Bourgueil wäre indes kein Kaufmann, würden nicht noch mehr Exemplare dieser Schürzen für Hobbyköche in »The Bespoker« hängen.
The Bespoker, Wildenbruchstraße 41, 40545 Düsseldorf.