TEXT: GUIDO FISCHER
»Es macht keinen Unterschied, ob ich eine Partitur schreibe oder einen Streik organisieren helfe. Das sind nur zwei Seiten einer einzigen Sache.« Mit provokanten Sätzen wie diesen hatte sich Luigi Nono noch zu Beginn der 1970er Jahre in die Tagespolitik eingemischt. Seine musikalische Arbeit war ein einziger Protest gegen jede Form von Unrecht. Zur Aufklärung der Massen gehörten auch Konzerte, die er mit seinen Freunden Maurizio Pollini und Claudio Abbado in den Fabriken Italiens veranstaltete. Ein Jahrzehnt später sollte der musikalische Klassen- und Widerstandskämpfer Nono aber auch die Genossen der italienischen KP verwirren, in die er früh eingetreten war. Anstelle politischer Parolen legte er in seinen Vokalwerken nun labyrinthisch rätselhafte Textnetze aus. Zudem schuf er über im Saal verteilte Klangerzeuger und Klanginseln Raumklänge und Klangräume, die veränderte Wahrnehmung ermöglichten.
Viele interpretierten das Umdenken des Komponisten Nono als Verrat an alten Manifesten. Doch für den Dirigenten Ingo Metzmacher hat die Musik des späten Nono nichts an aufwühlender, auflehnender Kraft eingebüßt. Speziell ein Großprojekt, das Metzmacher wie kein Zweiter kennt, besitzt diese für Nonos Schaffen markanten Grundzüge, zu denen das roh Gewalttätige wie das zum Hinhören zwingende poetisch Zarte gehören. Die monumentale, aufwändige und hochkomplexe Partitur des »Prometeo« hat Nono als »Tragödie des Hörens« bezeichnet – sie beschäftigt sich mit dem Mythos des Feuerbringers und Aufwieglers.
1984 wurde das Prometheus-Werk in einem Bühnenraum uraufgeführt, den der Architekt Renzo Piano in die Kirche San Lorenzo von Venedig eingezogen hatte. Damals stand Claudio Abbado am Pult. Vier Jahre später bekam der zukünftige GMD der Hamburger Staatsoper, Metzmacher, die Chance, »Prometeo« mit Nono für die Berliner Erstaufführung zu erarbeiten. Er sei »ein großer schöner Mann« gewesen, »der von draußen kam, aus der Wildnis, aus der Freiheit«, so Metzmacher über die Begegnung. Nonos visionäre Anti-Oper, bei der das Publikum im Zentrum des Klanggeschehens sitzt, hat der gebürtige Hannoveraner mehrfach, u.a. 1993 bei den Salzburger Festspielen und 2009 während der Kölner Musiktriennale, dirigiert.
Nun steht Metzmacher bei der Ruhrtriennale erneut am Pult des Ensemble Modern. Wie bei allen bisherigen »Prometeo«-Aufführungen ist Klangregisseur André Richard mit den Kollegen vom Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR für die akustische Einrichtung verantwortlich – also für das komplizierte Spiel zwischen Live-Elektronik, Gesangs- und Instrumentalsolisten und Orchester. Richard, der bis zu Nonos Tod 1990 eng mit ihm zusammenarbeitete, erwählte zudem die Duisburger Kraftzentrale als idealen Aufführungsort. Wobei ihn nicht nur die akustischen Voraussetzungen überzeugten, wie Jan Vandenhouwe betont. Für Richard, so der Chefdramaturg der Ruhrtriennale, spiegele sich in der Kraftzentrale die Geschichte der Arbeiterschaft und ihrer Ausbeutung; mithin ein Thema, das Nono bis zuletzt bewegte.
Doch an tagespolitischen Anspielungen fehlt es im »Prometeo«. Vielmehr wird man Zeuge eines musikalisch sich in Extreme ausbreitenden Kosmos’, gestaltet von vier im Raum verteilten Orchestern über Sänger- und Instrumentalsolisten bis hin zu Chören. Wenngleich dabei die riesige Textsammlung von Aischylos über Hölderlin bis Walter Benjamin oft bis zur Unverständlichkeit in die Musik eingebettet ist, schwingt doch die schicksalhafte Menschheitsgeschichte der antiken, indes aktuellen Schöpfungs-Überlieferung mit. »Die Musik klingt herauf wie aus uralter Zeit und konnte doch nur heute geschrieben sein«, so Metzmacher: »Derjenige, der das Glück hat, einer Aufführung beizuwohnen, wird es niemals vergessen«.
Luigi Nono, »Prometeo«, Ingo Metzmacher, Ensemble Modern Orchestra, SCHOLA Heidelberg, Experimentalstudio des SWR, André Richard (Klangregie), Eva Veronica Born (Raumkonzept) u.a. 8., 11., 12., 13. September 2015, Kraftzentrale Duisburg.