TEXT: HONKE RAMBOW UND SASCHA WESTPHAL
Wo immer sich Anselm Weber derzeit äußert, der noch zwei Spielzeiten das Schauspielhaus Bochum leitet, bevor er nach Frankfurt am Main wechselt, schildert er die finanzielle Situation des Theaters an der Königsallee in den dunkelsten Farben. Er hat dafür gute Argumente. Zum einen eine generelle Unterfinanzierung: »Es werden statistische Vergleichswerte von Häusern wie dem Thalia Theater Hamburg, den Münchner Kammerspielen, dem Düsseldorfer Schauspielhaus, dem Schauspiel Köln sowie
in Berlin und Frankfurt herangezogen, und dann wird abgeglichen, Abteilung für Abteilung, was die Ausstattung betrifft und den personellen oder künstlerischen Bereich. Das Ergebnis ist zuletzt, dass Bochum in seinem künstlerischen Etat eine Million Euro unter dem Budget liegt, das vergleichbare Häuser in der Bundesrepublik besitzen. Dieser Summe laufen wir ständig hinterher.« Außerdem drohen bevorstehende Tariferhöhungen, die bisher aufgefangen wurden. Weber: »Mit Ablauf des Kalenderjahres 2016 läuft eine mit der Stadt verabredete Regelung aus, dass der Zuschuss jährlich um zwei Prozent erhöht wird. Das soll mögliche Tariferhöhungen ausgleichen. Es gab die Verabredung, dass wir alles, was über die zwei Prozent geht, selber erwirtschaften sollen.«
Angesichts dessen ist das Schlimmste zu befürchten. Michael Townsend, Kulturdezernent und Stadtdirektor in Bochum, bleibt dennoch sehr gelassen und bilanziert: »Zum Ende dieser Spielzeit schließt das Schauspielhaus mit einer schwarzen Null ab. Allerdings ist die Situation, die Anselm Weber beklagt, zunächst richtig. Gäbe es keine Übernahme der Mehrkosten durch Tariferhöhungen, könnte das nur aus dem künstlerischen Etat, der derzeit rund 6,5 Millionen beträgt, gedeckt werden. Das wäre dann eine nicht tragbare Situation. Ich rechne aber nicht damit, dass irgend jemand in der Stadt das Haus beschädigen will.«
Eine Zusage der Übernahme sei laut Townsend nur aus rein verwaltungsrechtlichen Gründen nicht möglich, da die Stadt jedes Jahr den Haushalt neu verhandeln müsse. Allerdings gab es fünf Jahre lang eine solche Zusage, wenn sie auch nicht bindend war. Der Rat musste die zweiprozentigen Erhöhungen jedes Jahr absegnen. Aber das scheint bisher reine Formsache gewesen zu sein. Doch die kommunale Situation hat sich verändert. Bochums Ämtern wurde vom Rat auferlegt, die bestehenden Personalkosten bis 2020 zu deckeln. Jede etwaige Tariferhöhung muss demnach komplett aus eigenen Mitteln finanziert werden, also durch Reduzierung des Personals. Das hat das Schauspielhaus schon hinter sich. Nachdem Weber in den vergangenen Jahren 22 Stellen abgebaut hat, ist der Betrieb an seine Grenzen gekommen. Jede weitere gestrichene Stelle könnte den Spielbetrieb akut gefährden. Eine prekäre Situation, die Michael Townsend indes mit Humor nimmt: »Das Hemd ist eng, aber warm«. Nach solchen Witzeleien ist Anselm Weber nicht zumute: »2017/18 haben wir dann ein Defizit von 800.000 bis 900.000 Euro, und das kann nicht ausgeglichen werden. Dann heißt es irgendwann, Sie können nicht mehr beide Bühnen bespielen.«
Nur, ist das alles neu? Weber hat immer betont, er sei kurz nach Beginn seiner Bochumer Intendanz von der desolaten Situation überrascht worden. Sei von einem finanziell funktionierenden Haus in Essen an das größere – und renommiertere – nach Bochum gewechselt und habe dort mit einer ebenfalls stabilen Lage gerechnet. An dieser Stelle kommen bei Shakespeare die Geister der Vergangenheit ins Spiel. »Weber selbst hatte nach eigenen Angaben in Essen versucht, für 2010 einen höheren Etat zu erhandeln, sich aber nicht durchsetzen können«, berichtete damals die österreichische Zeitung Der Standard. Und in der Welt war zu lesen: Weber »geht gern, auch weil seine Dramaturgen in Essen nicht einmal mehr ohne Blick auf den Etat Farbkopien machen können«.
Die Ursache des Ganzen liegt – so wollen es Mythen immer – in grauer Vorzeit, als noch Götter regierten. Beim Schauspielhaus Bochum ist es die Ära Matthias Hartmanns, der die Umwandlung des Theaters vom städtischen Amt in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) initiierte. Als sie vollzogen wurde, war er schon nach Zürich gegangen; sein Nachfolger Elmar Goerden musste sich mit dem Erbe, das womöglich, um im Bild zu bleiben, eine Blutschuld enthält, herumschlagen. Fehler seien dabei begangen worden, da sind sich Weber und Townsend ausnahmsweise einig. Doch klingen sie bei letzterem weniger schwerwiegend: Natürlich wurde der Finanzbedarf für die AöR zu tief angesetzt. Da gab es auch keine Erfahrungswerte.
Das ist aber nicht ungewöhnlich, dass bei so einem Schritt nach zwei Jahren nachjustiert werden muss. Und dass Anselm Weber zu Beginn seiner Intendanz zwei Millionen einsparen konnte, liegt nur daran, dass eine AöR eben wesentlich flexibleres Handeln zulässt.
Anselm Weber schlägt einen dunkleren Ton an: Man hat die Personalkosten nicht so berechnet, wie man hätte tun müssen. Zweitens hat sich keiner Gedanken darüber gemacht, wie in Zukunft die Tariferhöhungen auszugleichen sind. Und zum Dritten hat man dem eigentlich strukturellen Defizit, das dieses Haus besitzt, nicht Rechnung getragen. Aus dem Nichts kommt das nicht. Schließlich hatte Goerden das Haus bereits fünf Jahre als AöR geleitet; Towsend war bereits ab Ende 2007 im Amt, bevor Weber 2010 nach Bochum wechselte. Und auch Goerden hatte in emotionalen Reden darauf hingewiesen, dass die Tariferhöhungen den Betrieb aller Spielstätten infrage stellten, wenn sie nicht durch städtischen Zuschuss ausgeglichen würden. Wirklich verborgen waren die Lasten der Vergangenheit, die man als Fatum erscheinen lassen kann, nicht. Aber sehen wollten sie die wenigsten.
Nun wird es Zeit für den Auftritt des Chors. Dessen Stimme schallt in dem Spiel von Hoffnung und Furcht aus dem städtischen Kulturausschuss herüber und verkündet: Wenn Tariferhöhungen kommen, sind das ab 2017 etwa 400.000 bis 500.000 Euro, die das Schauspielhaus weniger hat. Auf mehrere Jahre hintereinander. Da muss weiterhin Personal reduziert werden. Und das kann natürlich dazu führen, dass – und das ist jetzt worst case – man das alles nicht mehr stemmen kann, selbst bei reduzierten Aufführungen. Dann muss man eventuell eine Spielstätte schließen.
Poetische Sprache, in die sich Protagonisten der Tragödie gern hüllen, ist dem Chor fremd: Vernünftig wäre es im Grunde, das Große Haus zu schließen und die Kammerspiele weiter zu betreiben.
Unausweichlich – Stoff für eine Tragödie, in der Anselm Weber den aufrüttelnden Mahner gibt. Die Öffentlichkeit ignoriert ihn, bislang, wie die Trojaner ihre Kassandra. So nimmt alles seinen Gang. Die Hoffnung, es würde schon irgendwie gut werden, macht blind für das Verhängnis. Gewiss möchte Michael Townsend den Ruf der Stadt Bochum als Kulturmarke nicht gefährden, zumal sich schlecht ein neuer Intendant finden lässt, wenn bekannt ist, wie unsicher die finanzielle Situation ist. Wäre dies eine griechische Tragödie oder zumindest Brechts Dreigroschenoper, käme in letzter Sekunde der reitende Bote des Königs.
Der hieße hier dann wohl Dietrich Mateschitz und würde mit seinem Red-Bull-Erlös das sanierungsbedürftige Schauspielhaus energievoll revitalisieren. Es könnte dann »RB Bochum« heißen, was natürlich für »Ruhr-Bühne Bochum« stünde; dessen Freund Matthias Hartmann würde doch wieder Intendant und live aus Bochum auf Servus TV senden.
Vorhang!