TEXT: CHRISTEL WESTER
Der Strafprozess gegen Helge Achenbach fand just zu einem Zeitpunkt statt, an dem der Kunstmarkt mächtig in Verruf geraten ist. Er gilt als Gelddruckmaschine, wo Abermillionen für eine Ware von nicht klar definierbarem Wert umgesetzt werden. Spätestens seit dem Skandal um den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi vor knapp vier Jahren gilt er zudem als Waschanlage für Schwarzgeld, das über Scheinfirmen in Steuerparadiese fließt. Doch wie Beltracchi fliegen auch dem Kunstspekulanten Achenbach immer noch Sympathien zu. In der Kunstszene denken einige, dass der wahrhaft Geschädigte Helge Achenbach heißt. Denn er hat nicht nur seinen Ruf, sondern auch sein gesamtes Vermögen verloren. Sein Lebenswerk ist ruiniert. Mit 62 Jahren sitzt er, gesundheitlich angeschlagen, im Gefängnis.
Den Milliardären, die ihn angezeigt haben, entstand im Vergleich dazu kein existenzieller Schaden. Im Gegenteil, die Werke, die Achenbach ihnen vermittelte, haben größtenteils Wertsteigerung erfahren. Ein Beispiel: Berthold Albrecht kaufte ein Gemälde von Gerhard Richter für 4,5 Millionen Euro. Gerade wurde bei einer Auktion ein Richter-Gemälde für 41 Millionen versteigert. Achenbachs Anwälte haben auch tatsächlich so argumentiert: Wo kein Schaden entstanden sei, gebe es auch keinen Betrug.
Dieser Logik ist das Gericht nicht gefolgt. Richter Johannes Hidding warf der Verteidigung sogar vor, Ressentiments gegen Milliardäre zu schüren. In seiner Urteilsbegründung sagte er: »Das Vermögen wohlhabender Menschen ist vom Strafgesetzbuch genauso geschützt wie das normalverdienender Menschen«.
An 16 Prozesstagen fand vor dem Landgericht Essen eine umfangreiche Beweisaufnahme statt. Dabei erfuhr man viel über die Usancen der sonst extrem verschwiegenen Kunsthandelsbranche. Da werden Kaufentscheidungen in Millionenhöhe gern mal per SMS übermittelt, die Kunstwerke häufig vorher nicht einmal angesehen, schriftliche Verträge sind selten, fast alle Geschäfte basieren auf mündlichen Vereinbarungen – und natürlich sind alle Duzfreunde. Eben darauf baute Helge Achenbach seine Geschäftsbasis auf: Vertrauen und Freundschaft. Dass er diese Grundlage missbraucht habe, wurde in der Urteilsbegründung ausdrücklich betont.
Wie das System Achenbach funktionierte, legte Helge Achenbach selbst in einem Teilgeständnis dar. Das Geständnis betraf seine Geschäfte mit Berthold Albrecht. Ihm hat Achenbach in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum Kunst und Oldtimer für sehr viel Geld vermittelt: Zwischen 2009 und 2012 kaufte Albrecht Kunstwerke für rund 33 Millionen Euro und Oldtimer für rund 63 Millionen Euro. Mündlich vereinbart war, dass Achenbach Kunst und Oldtimer zu Einkaufspreisen weiterreicht und selbst eine Provision kassiert. Fünf Prozent für Kunst, drei Prozent für Oldtimer. Das ist wenig, in der Branche sind höhere Margen üblich. Und Achenbachs Aufwand war besonders hoch. Er hat seinen Kunden immer mehr als nur Kunst verkauft. Rauschende Partys und exquisite Diners mit Künstlern und Museumsleuten gehörten dazu. Also: soziales Prestige und Teilhabe am glamourösen Milieu. Dass die Provisionen seine Kosten nicht deckten, war Achenbach immer klar. Aber er wollte großzügig erscheinen und holte sich das Geld über verdeckte Aufschläge, indem er Rechnungen am Fotokopierer manipulierte (»collagierte«, wie er es nennt). Das flog nicht auf, da der Freund keine Originalrechnungen verlangte.
Raffinierter musste er bei seinen Geschäften mit der Berenberg Bank vorgehen. Im Sommer 2011 ging die exklusive Privatbank eine Kooperation mit Achenbach ein. Über die neu gegründete Firma Berenberg Art Advice wollte man reichen Anlegern mit der Investitionsware Kunst eine Alternative bieten zu den in Misskredit geratenen Finanzprodukten. Hier trat Achenbach über eine seiner anderen Kunstberatungsfirmen als Zwischenhändler auf und erzielte auf diese Weise ebenfalls verabredungswidrige Aufschläge. Dabei nahm er eine unseriöse Doppelfunktion ein: Als Berater, der vorgibt seine Kunden in einem undurchsichtigen Markt vor überhöhten Preisen zu bewahren – und als einflussreicher Händler, der auf genau jenem Markt die Preise mitbestimmt und nebenbei Aufgeld kassiert.
Achenbach besaß eine starke Machtposition im Kunstbetrieb, wobei er sich allerdings meistens gesetzeskonform verhielt. Im Strafprozess gegen ihn traten nicht nur die illegalen Praktiken des Systems Achenbach zutage, sondern auch die durchaus legalen, die dennoch zu denken geben. Dafür brauchte er willfährige Mitspieler und fand sie in den notorisch klammen Museen. Denn bei Wertsteigerungen von Kunst kommt ihnen eine bedeutende Rolle zu. Achenbach war gut darin, Museumsdirektoren über Beiräte in seine Geschäfte einzubinden und Kooperationsmodelle zwischen Sammlern oder Unternehmen und Museen zu initiieren. Museen sind aber öffentliche Institutionen, von Steuergeldern unterhalten. Doch wenn ein privater Sammler oder ein Unternehmen ein Bild an ein Museum verleiht, ist das Objekt nachher mehr wert, weil seine kunsthistorische Bedeutung jetzt als erwiesen gilt. Die Dauerleihgabe ist also ein lukratives Anlagemodell, bei dem das Museum zudem die Versicherung bezahlt und für fachgerechte Konservierung und Restaurierung aufkommt. Damit nicht genug: Ein Leihvertrag über zehn Jahre senkt die Erbschaftssteuer, bei zwanzig Jahren entfällt sie komplett. Deshalb gehörte zum Dienstleistungs-Portfolio des Kunstberaters Achenbach neben der Vermittlung von Kunst ebenfalls die Vermittlung von Leihverträgen mit renommierten Museen. Manche Kunden wünschen dann, wie eine Zeugin im Prozess, noch eine Kopie in Originalgröße – fürs Esszimmer.
Letzteres Bild ist exemplarisch dafür, was passiert, wenn Kunst zum Spekulationsobjekt wird. Es handelt sich um eine frühe Arbeit von Georg Baselitz: »Landschaft nach Trier« von 1958. Ursprünglich gehörte es dem Fotografen Benjamin Katz, der es in der gemeinsamen Studienzeit vom Künstler erworben hatte. Nun braucht er Geld, um sein eigenes fotografisches Werk sachgerecht zu archivieren. Katz ist mit seinen großartigen Künstlerporträts und Ausstellungsfotos einer der wichtigsten Chronisten der Kunstszene in Deutschland seit den 1960er Jahren. Sein Werk verdiente es, mit öffentlichen Geldern unterstützt zu werden. Doch die Kassen sind bekanntlich leer. Für 200.000 Euro verkaufte Katz seinen Baselitz an Achenbach. Der verlangte beim Weiterverkauf an Kunden der Berenberg Bank 875.000 Euro – mehr als das Vierfache!
Allerdings hatte Katz den vergleichsweise niedrigen Preis deshalb akzeptiert, weil ihm der Ankauf eines Konvoluts seiner Fotografien in Aussicht gestellt wurde, sobald der Baselitz verkauft sei. Ein nicht eingelöstes Versprechen – ausgerechnet durch dieses Bild flog das System Achenbach auf. Der ehemalige Museumsdirektor Thomas Kellein, u. a. von 1996 bis 2010 an der Kunsthalle Bielefeld, arbeitet heute als freier Kunstberater.
Achenbach hatte ihn angeheuert. Zunächst hat auch er von den Preisaufschlägen profitiert, dann aber beim Baselitz-Bild als Whistleblower agiert und damit letztlich den Fall ins Rollen gebracht. Doch auch wenn dieser Deal am Ende nicht wie geplant lief, zeigt das Beispiel deutlich: Nur wer über die nötigen Netzwerke verfügt, hat Erfolg auf dem Kunstmarkt. Und: Nur wenige Werke werden gepuscht, andere verdrängt. Rekordpreise fressen Geld und Aufmerksamkeit. So werden Preispolitik und Marktstrategien zum Bewertungsmaßstab. Aber ist teure Kunst automatisch gute Kunst?
»Der schnelle Markt, die Gier nach Gewinnen, degradiert die Kunstwerke«, warnte Helge Achenbach vollmundig in seiner Autobiografie, die er heroisch »Der Kunstanstifter« nennt. Heute wissen wir, dass seine unsauberen Geschäfte mit der Berenberg Bank bereits aufgeflogen waren, als das Buch im Herbst 2013 erschien. Kurz darauf begannen die Ermittlungen. Doch Achenbach nutzte die letzte Gelegenheit, sich als Kämpfer für das Gute und Wahre zu stilisieren. »Wir müssen die Kunst vor dem Markt schützen«, fordert ausgerechnet er, der diesen Markt mit geschaffen und kräftig von ihm profitiert hat. Auf der letzten Seite verkündet er: »Ich hatte immer das Ziel, das System transparenter zu machen.« Im Strafprozess ist er diesem Ziel näher gekommen.
CHRONIK
Am 10. Juni 2014 wird Helge Achenbach am Düsseldorfer Flughafen verhaftet, er kam aus Brasilien, wo er das WM-Quartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft mit Kunst ausgestattet hatte.
Am 9. Dezember 2014 wird vor dem Landgericht Essen der Strafprozess gegen ihn und seinen ehemaligen Geschäftspartner Dr. Stefan Horsthemke eröffnet. Achenbach wird Betrug und Untreue gegenüber dem 2012 verstorbenen Aldi-Erben Berthold Albrecht sowie gegenüber zwei Kunden der Kunstberatung der Berenberg Bank zur Last gelegt. Horsthemke ist nur in die Geschäfte mit den Berenberg-Kunden involviert.
Am 20. Januar 2015 wird Achenbach in einem parallel zum Strafprozess laufenden Zivilverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf zu Schadenersatzzahlungen von 19,4 Mio. Euro an die Familie von Berthold Albrecht verurteilt. Achenbach hat Revision gegen das Urteil eingelegt.
Am 16. März 2015 wird Achenbach zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte sieben Jahre gefordert. Horsthemke wird zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt.
Weiterhin ermittelt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wegen weiterer Betrugsfälle gegen Achenbach. Angezeigt haben ihn die Gesellschafter der Sammlung Rheingold, die Achenbach 2002 ins Leben rief und deren Geschäftsführer er war. Die Sammlung Rheingold kooperiert mit zahlreichen Museen u. a. aus NRW.