TEXT: ULRICH DEUTER
Es ist nicht viel, was die Bibel – ohnehin nur das Matthäus-Evangelium (Mt. 2, 1–19) – über die Männer berichtet, die, Herkunft, Profession und Zahl unklar, als erste offizielle Autoritäten das soeben geborene Erlöserkind zu huldigen kommen: »Da Jesus geboren war zu Bethlehem im jüdischen Lande, zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen die Weisen vom Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.« Die Frage geht an Herodes; der fürchtet dynastische Konkurrenz, weist ihnen den Geburtsort, aber erbittet anschließenden Bericht. In Bethlehem finden die Weisen »das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an (…) und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und Gott befahl ihnen im Traum, daß sie sich nicht sollten wieder zu Herodes lenken; und sie zogen durch einen anderen Weg wieder in ihr Land.« Wo sie aus dem Heilsgeschehen verschwinden.
Die Bibel ist voll von kleinen Geschichten, die wie ein geheimnisvoller Brühwürfel darauf warten, mit dem heißen Wasser der Fantasie getränkt und zu ihrem wahren Umfang auserzählt zu werden. Einigen wurde diese Erweckung zuteil, so etwa der Geschichte von Joseph, von der schon Goethe (in »Dichtung und Wahrheit«) bedauernd fand, sie erscheine »zu kurz, und man fühlt sich berufen, sie ins einzelne auszumalen.« Bekanntlich war es Thomas Mann, der die Berufung aufgriff und gar nicht mehr loslassen konnte.
Der Fall der Mann’schen Joseph-Tetralogie aber hat einen Vorläufer, der aus einer biblischen Anekdote ein noch vielbändigeres Epos gemacht hat: die Geschichte der Heiligen Drei Könige. Von ihr geht bereits für die Kirchenväter eine Faszination aus, die sie zu religiöser Deutung reizt: Die Anbetung des Kindes durch heidnische Würdenträger kann als erstes Zeugnis der Göttlichkeit Jesu gedeutet werden, als erste der Epiphanien. Seit Origines (185–254) war es theologischer Usus, Personen und Ereignisse des Alten Testaments als Präfigurationen von Entsprechungen im Neuen Testament zu verstehen. Anregung hierzu gab ein Satz aus der Bergpredigt: »Ich bin nicht gekommen, das Gesetz und die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen« (Mt. 5,17), zugleich trieb die frühen Christologen der Wunsch um, ihre noch junge Religion zu einer universellen Theorie zu erhöhen, indem sie Welt und Zeit von einem christlichen Gesichtspunkt aus deuteten. In diesem »typologischen« System ließ sich beispielsweise Eva als Verheißung, Maria als Erfüllung interpretieren, ebenso Abner vor David(II Sam. 3) oder der Besuch der Königin von Saba bei König Salomon (I Reg. 10) als Präfiguration der Aufwartung der Weisen beim Gotteskind.
Im Gegensatz zu den Theologen mag die frühen Künstler etwas anderes zu eifriger bildlicher Darstellung der Dreikönigsgeschichte gereizt haben: das schöne Motiv des Leitsterns etwa; das der (Pilger-)Reise; die Kraft einer Szene, in der hohe Fremde einem Kind Kostbares überreichen. Auch der Weisen Schlaf und Engel-Erscheinungen im Traum sind an sich von ikonografischer Stärke. Außerdem: Die Anbetungsszene fand Anklang in der damaligen Bildtradition, bei den in der Antike zahlreichen Darstellungen von fremden Gesandten, die dem römischen Kaiser Tribut leisten.
Und so werden die Weisen aus dem Osten in den allerfrühesten Bildwerken als Abgaben entrichtende Mischfremde dargestellt: Bekleidet mit zipfeligen »phrygischen« Mützen, »persischen« Hosen und wehenden griechischen Chlamys eilen sie auf das Gottkind zu, das – um der geläufigen Herrscherikonografie jener Zeit zu entsprechen – mitnichten in einer Krippe liegt, sondern auf dem Schoß seiner Mutter wie auf einem Thron sitzend die Huldigenden mit einem Segensgestus empfängt.
Damit sind wir am Beginn der Ausstellung im neuen Schnütgen-Museum, wo eine elfenbeinerne Pyxis aus dem fernen 6. Jahrhundert, also ein runder Hostienbehälter, aus dem Halbdunkel des Raumes herausgeleuchtet wird: keine acht Zentimeter hoch, 13 im Durchmesser, aus dem östlichen Mittelmeerraum stammend, dessen umlaufende Schnitzerei sowohl die Verkündigung der Hirten als auch die Anbetung der Weisen zeigt. Das gleiche Bildprogramm auch auf Sarkophagen des römischen 4. oder 5. Jahrhunderts, in überaus feinen Elfenbeinarbeiten oder in zierlicher Buchmalerei, wo es etwa als rahmenloses Bild in einer Abschrift des Paschale Carmen des Sedulius aus dem 9. Jahrhundert zu sehen ist. Wobei die Drei Magier auch gern mit den Drei Jünglingen im Feuerofen (Dan. 3) typologisch kontrastiert werden.
So fruchtbar ist das Motiv, dass es Kunstgeschichte schreibt. Das Bild der thronenden Muttergottes mit dem Kind auf dem Schoß löst und verselbstständigt sich aus der Darstellung der Magierhuldigung heraus, später, als man die drei Weisen mit den drei (damals bekannten) Kontinenten gleichsetzt und einen daher schwarzhäutig sein lässt, ist dies eine Gelegenheit zu überbordender Ausgestaltung des Exotischen – wie die Ausstellung mit ganz wunderbaren Exponaten beweist, so einem fast lebensgroßen »Mohrenkönig« aus dem Umkreis Michael Pachers von ca. 1480.
Könige allerdings sind die Weisen in allen Darstellungen vor dem 10. Jahrhundert nicht, drei an der Zahl aber schon recht bald. Wiederum Origines war der Erste, der dies deduzierte, obgleich Matthäus keine Zahl nennt; die Anzahl der Gaben legt aber drei Personen nah. (Eine bis ins 5. Jahrhundert überlieferte syrisch-arianische Legende kennt dagegen zwölf Weise.) Magoi heißen die Pilger im griechischen Urtext, das kann allerhand bedeuten, aber nicht König. Dennoch promovieren sie schon in der Vorstellung der Kirchenlehrer wie Tertullian (um 150–220) im Rückgriff auf typologische Stellen im Alten Testament zu Königen, sind es doch dort gekrönte Häupter, die Gaben entrichten: »Die Könige aus Reicharabien und Seba werden Gaben zuführen. Alle Könige werden ihn anbeten; alle Heiden werden ihm dienen.« (Ps 72). Dennoch dauert es bis zur Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert, dass auch in den bildlichen Darstellungen die phrygische Mütze der Krone weicht. Warum jetzt und flächendeckend?
Der Katalog nennt als den Grund hierfür das Selbstverständnis des christlichen Königtums im Mittelalter: Besonders die ottonischen Kaiser glaubten ihre Krone und Macht unmittelbar vom König aller Könige empfangen zu haben. Die Huldigung Christi durch die »Drei Könige« war für sie ein Rechtsakt feudaler Hierarchie. Das leuchtet insofern ein, als im Hochmittelalter allerorten das Bemühen groß gewordener Territorialfürsten erkennbar ist, ihre Dynastie durch genealogische Rückbindung an hohe Traditionen zu legitimieren, oft in direktem Konkurrenzkampf etwa um die deutsche Königskrone. So lässt beispielsweise die Sächsische Weltchronik (um 1134) das Welfenhaus Heinrichs des Löwen von Troja abstammen. »Noch zur Zeit Heinrichs II. Plantagenet, im 13. Jahrhundert, betrachtete man die Heldengedichte wie authentische Dokumente. Lange, bis ins 15. Jahrhundert hinein, werden herrschaftliche Familien ebenso wie Abteien versuchen, sich mit einem berühmten Epos in Verbindung zu bringen«, kann man bei Philippe Ariès lesen (»Zeit und Geschichte«). Das Problem ist jeweils nur, denjenigen, der den Nutzen hat – ein Hochadliger in der Regel –, auch als Auftraggeber eines Epos oder Bildwerks zu identifizieren. Flächendeckend – die Dreikönigsdarstellungen sind Legion – wohl eine Unmöglichkeit. Es muss auch andere, symbolische, ikonografische Gründe geben, warum es auf einmal stimmig wird, die drei Weisen nur noch als Könige zu zeigen.
Im Falle Kaiser Ottos IV. (1175/76–1218) ist die Nutzbeziehung allerdings klar. Wir befinden uns im Jahre 1200, in Köln, wohin ein Hoftag einberufen ist. 36 Jahre zuvor, am 23. Juli 1164, sind die Gebeine der inzwischen längst kanonisierten und mit den Namen Caspar, Melchior und Balthasar versehenen Heiligen Drei Könige in den Dom überführt worden; der Kölner Erzbischof Rainald von Dassel hat sie von Kaiser Barbarossa erhalten, dessen Reichskanzler für Italien er ist. Nach Mailand waren die Reliquien zuvor als Geschenk Kaiser Konstantins gekommen, nachdem sie ursprünglich von Kaiserin Helena entdeckt und nach Konstantinopel verbracht worden waren – so die Überzeugung auch am Rhein, wo 1190 Nikolaus von Verdun einen goldenen Reliquienschrein anzufertigen beginnt, ein Werk, das an Größe, Kostbarkeit und inhaltlichem Anspruch alle zuvor entstandenen Großreliquiare übertrifft. Die vordere Stirnseite zeigt die Anbetung der Drei Könige, denen allerdings hier ein vierter Herrscher folgt: Otto IV. Damit ist die Sakralität seiner Königswürde (die er gegen Philipp von Schwaben behaupten muss) beglaubigt, was durch eine bedeutende Stiftung Ottos für den Schrein, drei goldene Kronen für die Reliquienhäupter, unterstrichen wird. Aber auch das Krönungsrecht des Kölner Erzbischofs findet in diesem Bildprogramm seinen »Beweis«.
Begreiflicherweise ist der Kölner Dreikönigsschrein im Museum Schnütgen nicht zu sehen – er ruht nach wie vor ein paar hundert Meter weiter im Dom. Aber die Ausstellung zeigt mit Schwarzweißfotos, wie er am 15. August 1948 anlässlich des 700-jährigen Domjubiläums zwischen den Trümmern Kölns in einer Prozession herumgetragen wird – eine sehr unheilig wirkende Szenerie. Während in all den Elfenbeinreliefen, Skulpturen, Tafelbildern, Handschriften vom 3. bis 16. Jahrhundert, vor allem in den frühen Werken, eine Innigkeit und Liebe zu dieser Geschichte zum Ausdruck kommt, die den Besuch in der klar, ruhig und übersichtlich gestalteten Ausstellung zu einem Erlebnis macht.
Die Heiligen Drei Könige. Mythos, Kunst und Kult. Museum Schnütgen, bis 25. Januar 2015. Katalog 39,- Euro. Tel.: 0221/221-31355. www.museum-schnuetgen.de
»Caspar, Melchior, Balthasar – 850 Jahre Verehrung der Heiligen Drei Könige im Kölner Dom«; bis 25. Januar 2015, Hohe Domkirche Köln / Domschatzkammer / Dombauhütte / Dombauarchiv