TEXT: NICOLE HARTJE-GRAVE
Die amerikanische Flagge – von Jasper Johns mit wachsgetränkten Farben zu neuem Leben erweckt. Die grellbunten Comic-Mädchen von Roy Lichtenstein. Andy Warhols doppelter Elvis und Mel Ramos’ aufreizende Blondine auf dem Rücken eines Flusspferdes: Bilder, die sich als Ikonen der Pop-Art ins Gedächtnis eingebrannt haben. Diese und noch mehr Schlüsselwerke haben das Kölner Museum Ludwig und das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien zu einer großen Ausstellung vereint, die einen einzigartigen Überblick über die Ära bietet.
Das Unternehmen ist nicht zuletzt als Hommage an Kölns wichtigsten Sammler und Mentor Peter Ludwig gedacht. Immerhin verdankt das Museum Ludwig dem Schokoladenfabrikanten und seiner inzwischen ebenfalls verstorbenen Frau Irene eine Pop-Art-Sammlung, die weltweit zu den führenden zählt. Von der Sammelleidenschaft des Ehepaars profitierte jedoch nicht nur das damalige Wallraf-Richartz-Museum, aus dem 1976 das Museum Ludwig hervorging, sondern auch die nach ihrem Stifter benannten Museen in Aachen, Wien, Koblenz, Basel, Budapest, St. Petersburg und Peking.
Mit dem Ziel, die Pop-Art-Sammlung in ihrer Fülle einmal geschlossen in den Blick zu nehmen, ist es den Kuratoren gelungen, über 150 Arbeiten – darunter Hauptwerke aus dieser mittlerweile historischen Kollektion – für drei Monate in Köln zu vereinen. Ausschließlich mit Arbeiten der Sammlung Ludwig entsteht ein facettenreicher und hochkarätiger Parcours durch eine klug nach Themen gegliederte Ausstellung zum Phänomen der Pop-Art, wie es sich vor allem in den USA und in England seit den 50er Jahren entwickelt hat.
Es war eine Zeit des Umbruchs: Die »Nouveaux Réalistes« hatten die Poetik der urbanen Landschaft entdeckt. Jean Tinguely schuf nutzlose, aber humorvolle Maschinen, während Yves Klein das »International Klein Blue« und die Leere feierte. Klein pflegte damals enge Kontakte zum Rheinland, wo er im Dialog mit den Künstlern der Gruppe »Zero« stand. Zur gleichen Zeit schuf Piero Manzoni seine »Achrome«, Lucio Fontana entwickelte seine Raumkonzepte.
AB 1962 HIESS SIE POP ART
Und ein junger Engländer zeigte erstmals seine aus Werbeannoncen kreierten Collagen: Richard Hamilton, der zum wichtigsten Vertreter der britischen Pop-Art werden sollte. Auch in den Vereinigten Staaten verharrte die Kunst nicht mehr lange im Abstrakten Expressionismus. Neue Stars betraten die Bühne. Zunächst Jasper Johns und Robert Rauschenberg, später dann Andy Warhol, Roy Lichtenstein, James Rosenquist, Claes Oldenburg und George Segal. Ab 1962 gab es für diese Kunst einen Namen: Als Pop-Art eroberte sie Amerika und kurz danach auch Europa.
Für die Ludwigs war es Liebe auf den zweiten Blick. Nachdem sie anfangs etwa mittelalterliche Werke und präkolumbianische Kunst gesammelt hatten, kam die Begegnung mit einer Pop-Art Skulptur von George Segal Mitte der 60er Jahre im New Yorker Museum of Modern Art zunächst einem Schock gleich. Doch schon bald – vor allem auf Anregung von Wolfgang Hahn, dem Chef-Restaurator des Wallraf-Richartz-Museums – wurde ihr Interesse an den neuen Entwicklungen der amerikanischen Kunst geweckt. Peter Ludwig war augenblicklich fasziniert und begeistert davon, wie Künstler seiner Generation eine Beziehung zwischen Kunst und Leben kreierten. Von nun an begann er, Werke dieser Künstler zu kaufen. Und brachte binnen weniger Jahre die wichtigste Pop-Art-Sammlung weltweit zusammen. In New York wurde der Name Ludwig zur Legende.
Wie der Sammler selbst einmal schilderte, »brach die Kunst dieser Jahre über uns herein wie ein Sturm. Viele der Künstler lernten wir persönlich kennen, und manche wurden unsere Freunde: […] Klapheck und Vostell, Arman, Jasper Johns, Rauschenberg, Lichtenstein, Segal, Wesselmann, Rosenquist, Jim Dine, Warhol, Stella und Oldenburg. Das ist unsere Generation, das ist unser Erlebnis der Welt. Das ist unsere Sicht der Zivilisation und unseres Daseins.«
»Ludwig goes Pop« ist eine der größten Ausstellungen der Museumsgeschichte. Mit elf Kapiteln greift sie weit in die Räume der Schausammlung ein und erobert zu Recht beinahe das gesamte Haus. Der Eintritt in die Schau führt an Duane Hansons hyperrealistischen Skulpturen schlafender Obdachloser vorbei. Ein krasser Gegensatz zur grellen Konsumwelt im ersten Raum, wo Warhols »Campbell’s Soup Cans« und »Brillo Boxes« sowie die »Large Jewels« von Lichtenstein demonstrieren, dass alle Themen bildwürdig waren – seien sie noch so banal.
Dem wachsenden Hype um Produkte und deren Design, dem zunehmenden Warenfetischismus seit Beginn der 1960er Jahre, setzte Claes Oldenburg eine Armee alltäglicher Gegenstände gegenüber: Lichtschalter, Restaurantgeschirr, ein Waschbecken und einen Backofen, die er durch Verwandlung ins Überdimensionale oder Übertragung in ein anderes Material zu bizarren Kunstobjekten machte.
Was in den 50er Jahren begann und sich im Jahrzehnt darauf zur Pop-Art entwickelte, glich einem kulturellen Vulkanausbruch. Die lange währende, trügerische Ruhe des Abstrakten Expressionismus als Weltsprache konnte den »unterirdischen Gärungsprozess« nur verdecken. Es ging nicht um ästhetische Spielereien. Es ging um gesellschaftliche, politische, kulturelle, triviale und sexuelle Belange – also um existentielle Dinge, die Künstler der jüngeren Generation auf äußerst vielfältige Weise in den Mittelpunkt ihrer Arbeit rückten.
Die wohl wichtigsten Vorreiter der Pop-Art waren Robert Rauschenberg und Jasper Johns. Ihren wegweisenden Werken widmet die Ausstellung gleich vier Räume. Schon früh hatte Rauschenberg mit den Ideen von Duchamp und Malewitsch experimentiert; es entstanden monochrome weiße Bilder, schwarze und rote Materialcollagen, und seine Versuche mit dem Readymade führten zu den »Combine Paintings«. Hier montierte er Fundstücke aus der Alltagswelt, raffiniert und lustvoll bemalt. Die Grenzen zwischen Malerei und Plastik waren ebenso getilgt wie die zwischen Kunst und Wirklichkeit.
Brillo, Coca Cola, Ford und Marlboro – die Warenwelt von damals ist uns immer noch vertraut. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung stieg seinerzeit auch die Kaufkraft der Amerikaner, und die Werbebranche entwickelte sich zu einer finanzstarken Industrie. Dabei wurden nicht nur Produkte beworben, sondern auch der mit ihnen verbundene Lifestyle. Man vermarktete Emotionen und Wunschbilder. Wer dazu gehören wollte, musste konsumieren.
Auch in der Pop-Art tauchten triviale Bildinhalte auf, die den kulturellen Wandel begleiteten und den Mythos des American Way of Life beschworen. Damit war der Siegeszug dieser neuen und erfrischend direkten, mit visuellen Alltagszitaten spielenden Kunst nicht mehr aufzuhalten.
Peter Ludwig ist nur ein Beispiel für die schnelle Akzeptanz der Pop-Art in einer breiten und finanzkräftigen Schicht, die der lebensnahen Thematik von Konsum und Massenmedien, einer kommunikativen und nicht selten mit Humor und wacher Ironie aufwartenden Kunst aufgeschlossen gegenüberstand. Sie gab sich nicht länger elitär und hermetisch, sondern sprach den Betrachter unvermittelt an und veranlasste ihn – wie bei Rosenquists »Forest Ranger« – zur aktiven Teilhabe.
Von der schillernden Warenwelt führt der Rundgang durch die Kölner Schau zum Menschen im Zeitalter der Pop-Art: Warhol und Rosenquist zelebrierten und entlarvten gleichzeitig den einsetzenden Glamourkult um Filmstars, Sänger und Schauspieler wie Marilyn Monroe, Elvis Presley, Mick Jagger und Joan Crawford. Durch plakative Reproduktion und endlose Vervielfachung des immer gleichen Bildes verliert die Prominenz jede Individualität, wird zum oberflächlichen Abziehbild. Während sich Hamilton und R. B. Kitaj mit dem Phänomen der Massengesellschaft auseinandersetzen, nahmen Lichtenstein, Tom Wesselmann und Ramos die Vermarktung der Frau als stilisiertes Lustobjekt in den Blick. Dabei beschäftigten sie sich sowohl mit der braven Blondine als auch mit dem aufreizenden Pin-up-Girl.
Im letzten Raum der Ausstellung erinnern das »Portable War Memorial« von Kienholz, Lichtensteins »Takka Takka« und Warhols »Red Race Riot« daran, dass die 60er Jahre nicht nur von Wirtschaftsboom und Massenproduktion bestimmt wurden, sondern auch von blutigen Rassenunruhen und vom massenhaften Tod während des Vietnamkrieges.
Dass diese groß angelegte Überblicksausstellung ausschließlich aus den Beständen einer einzigen Privatsammlung reali- siert werden konnte, ist der Sammelleidenschaft und der Schenkung Peter Ludwigs zu verdanken, der phasenweise wie besessen kaufte, aber schon früh die Übertragung seiner Werke in ein öffentliches Museum im Blick hatte. Wie intensiv er und seine Frau – beide promovierte Kunsthistoriker – sich mit den Werken auseinandersetzten, belegen in der Schau Karteikarten über jede Arbeit, außerdem Zeitungsberichte zur Pop-Art, die der Besucher digitalisiert auf I-Pads oder im Original studieren kann. Fernsehinterviews mit Peter Ludwig ergänzen das Bild eines Geschäftsmannes, dem die Verquickung künstlerischer Strategien mit Versatzstücken wirtschaftsrelevanter Phänomene wie Werbung und Konsum entgegenkam.
Museum Ludwig, Köln. Bis 11. Januar 2015. Tel.: 0221 / 221 26165. www.museum-ludwig.de