EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Darf in Zeiten, in denen ein elfjähriger Heterosexueller mit Haartransplantat Vorsitzender der FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag ist, es einem 33-jährigen muslimischen Schützenkönig verwehrt werden, Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Georg in Werl-Sönnern zu werden? Ist es richtig, dass der farblose Oberbürgermeister einer grauen Stadt wie Essen auf dem Christopher Street-Day tanzt, während die stets regenbogenfarbig schwarz, grün, blau kostümierten Bereitschaftspolizisten- jungs mit ihren fantastischen Accessoires künftig die Fußball-Arenen meiden müssen? Sollten in einem verstopften Bundesland wie dem unsrigen nicht eher die Außengrenzen geschlossen werden als die Rheinbrücken? Warum erstellt unser Finanzminister anstelle des Landesetats nicht den Wochenspeiseplan der Ministeriumskantine, es muss doch schrecklich sein, wenn einem nie etwas gelingt. Und wenn jetzt schon die ersten Städte dazu übergehen, Glücksspieler und Wetter zu besteuern, wieso nicht auch die Wettervorhersager? Das wäre gerecht.
Als vor 66 Jahren Kurfürst Jan Wellem, die Grafen vom Berg, der Westfälische Frieder, der Kölner Scherzbischof sowie die Firma Krupp Nordrhein-Westfalen gründeten, taten sie dies mit der Absicht, die jahrhundertealte Spaltung in Nord und Süd, vorn und hinten zu überwinden. Kaum je aber war das Durcheinander größer denn jetzt. Das Land ist zerrissen von Fragen, so offen wie das Arbeitnehmerherz Karl-Josef Laumanns. Fragen wie: Ist Kleve heilbar? Wäre Ute Schäfer mit etwas Süßem zu trösten? Steht der Kölner Dom in Wahrheit weiter rechts? Fragen wie: Hätte aus der Wupper etwas anderes werden können? Ist die Welt ohne Markus Lüpertz vorstellbar? Und in einer solchen unsicheren Lage sollen künftig wesentliche Teile der Bevölkerung auf Rat und Schlag der behelmten, berittenen und befestigten Polizei verzichten! Wenn sich demnächst die Fans des 1. (vor dem Aufstieg: 2.) FC Köln denen von Schalke in die Fäuste werfen, müssen tausende tatkräftige junge Männer, echte Anpacker-Typen, wie unser Land sie braucht, ohne professionelle Anleitung auskommen. Ohne die gemütliche Megafonstimme, die »Langsam, langsam! Es kommt jeder dran!« ruft. Ohne das mahnende »Auf dem Boden Liegenden nicht vor den Kopf!« Oder das für die Effizienz so wichtige »Da vorn sind noch welche ohne Nasenbeinbruch!« An den Tagen der Derbys werden die Hundertschaften, so der Plan des Innenmi-nisters, statt auf die Bahnhöfe und in die Stadien nach Garzweiler in den Braunkohletagebau marschieren, wo sie sich zu menschlichen Buchstaben aufstellen und Wörter formen, die dann von Polizeihubschraubern aus fotografiert werden sollen. Wörter wie »NRW – enervé« und »außer Kraft«.
Doch vorauszusehen ist, dass auch dies wieder nichts bringt. Und nichts heißt ja immer: kein Geld. Wohin soll das führen? Wie lange soll das noch so gehen? Und vor allem, was überhaupt? Würde Nordrhein-Westfalen eine eigene Währung einführen, statt des € das ?, das Land wäre sofort saniert.