EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Im letzten Monat wurde in Nordrhein-Westfalen gespart. Das war vielleicht eine Aufregung! Alles war ja ganz neu. Für den ersten Tag hatte jeder in der Regierung eine Idee mitgebracht, manch einer sogar zwei. Aber letzteres wurde nicht gern gesehen, es ging ja ums Sparen. Einige der Ministeriumssekretärinnen hatten sich überlegt, alle DIN A 4-Blätter in den Kopiergeräten zu halbieren, damit der Vorrat doppelt so lang hielte. Andere schlugen vor, die Farbbänder in den Bildschirmen etwas länger zu benutzen. Darüber wurde ausgiebig diskutiert. Dann kam Ministerialdirigent Dr. Nettelbrauck auf schottengemusterten Socken ins Büro geschlittert und verkündete treuherzig, das seien die Sparstrümpfe.
Die Regentin selbst ging mit gutem Beispiel voran. Schon um vier Uhr in der Früh hatte sie die Autobahn nach Düsseldorf genommen – »Wenn man den Straßenbelag gleichmäßig abnutzt, also auch in den verkehrsarmen Zeiten, dann verringert das die Infrastrukturkosten«, belehrte sie ihre Mitarbeiter. Von denen manche, weil dies Arbeitszeit spart, erst um 11 Uhr in die Staatskanzlei gekommen waren. Zeit ist Geld, riefen sie.
15 Minuten später fand im Großen Besprechungsraum ein Gästeempfang statt, aus Kostengründen eine Wiederholung des Empfangs vom Vortag. Gereicht wurde nur Leitungswasser – ebenfalls von gestern, niemand hatte es angerührt –, gesprochen wurden mehrfach benutzte Redewendungen. In der kleinen Küche der Staatskanzlei waren derweil zwei unbezahlte Praktikantinnen schon den zweiten Tag damit beschäftigt, den Sekt- und Orangensaftvorrat der Landesregierung in den Ausguss zu leeren.
Zur selben Zeit sprudelten einige hundert Meter entfernt auch in den Ministerien die Sparvorschläge. »Die Ministerpräsidentin will kein Kind zurücklassen«, murmelte Schulministerin Sylvia Löhrmann immer wieder vor sich hin. Bis ihr die Idee kam: »Dann lassen wir doch die ganze Klasse zurück!« Und sie verfügte, ab sofort kein Geld mehr für Klassenfahrten zu bewilligen.
Im Verkehrsministerium hatte man inzwischen ausgerechnet, dass es um den Faktor sieben preiswerter käme, statt Autobahnen Fernradwege zu bauen. Die neue Leverkusener Rheinquerung der A1 wäre damit quasi aus der Portokasse zu bezahlen. Auch Ute Schäfer als Kulturministerin hatte eine blendende Idee: nämlich die Bilder der Kunstsammlung NRW bei Sotheby’s zu verkaufen und durch Kopien zu ersetzen: »Merkt ja keiner. Und der Beltracchi ist doch Freigänger, der könnte das!« Ihr Abteilungsleiter Kultur versprach, einen Testverkauf mit ein paar Warhols aus dem Besitz des landesbankeigenen Spielcasinos vorzunehmen.
Und dann war die Zeit gekommen, quer durch die Flure »Mahlzeit!« zu rufen. Die sparsamen Bewegungen der Stunden zuvor wichen einer fröhlichen Betriebsamkeit, heiter eilten alle Mitarbeiter der Regierung in die Landtagskantine.
Passend zur Losung des Tages bot die Küche ein Spargel-Gericht an, obwohl die Saison dafür natürlich auch im September längst vorbei war. »Der kommt doch aus der Dose«, murrte der für Grundsatzfragen zuständige Regierungsdirektor Kracht. »Aus der Spardose«, kreischte Regierungsrätin Gerstenberg-Backofen aufgeregt und ließ vor Wonne ihre Rechteckbrille in die Hollandaise fallen. »Die Spardose ist die Büchse der Pandora«, erscholl da eine erregte Stimme. Es war die des Finanzministers, der entkräftet am Kantinentisch niedersank. »Wir brauchen endlich einen fairen Länderfinanzausgleich«, stöhnte Norbert Walter-Borjans und sog drei Spargelstangen zugleich in den Mund.
Und während zehn Tage später Hannelore Kraft in ihrer Nachtragshaushaltsrede im Landtag tüchtig an Grammatik und sprachlichem Reichtum sparte und so ein Vorbild schlanken Regierungshandelns gab, hielt Walter-Borjans ein flammendes Plädoyer gegen Unterdrückung und Ausbeutung in der Welt. »Solidarität mit den Erniedrigten und Beleidigten«, rief er: »Mehr Bayern-Geld für NRW!«
»Sekt für alle!«, hieß es hinterher in der Staatskanzlei. Aber das kam jetzt natürlich zu spät.