Sammeln ist eine ebenso ausufernde wie riskante Sache. Wenigstens ist sie das in dem Saal von Jonathan Meese, der eigentlich einer Schleudermaschine in die Kindheit der 70er-Jahrgänge gleicht. Hereinspaziert!, schreit es aus allen Ecken. Der Betrachter muss die vielen Stolperfallen aus Kinderbetten, Schaufensterpuppen, durchgesägten Globussen und Zahnarztstühlen umschiffen, Farben und Leinwände hinter sich lassen, um die Fragmente zu einem Psychogramm zu verknüpfen.
Das vielsagende Sammelsurium sucht seinesgleichen: Barbies treffen auf Babyschuhe, Pornos auf Barbapapa-Spielzeug. Ein gigantisches Regal gibt Auskunft über die Lesegewohnheiten des 44-jährigen Enfant terrible, das sich zuletzt mit seiner Hitlergruß-Performance der Medienaufmerksamkeit sicher sein konnte. Was man sieht, bestätigt das liebevoll gepflegte Image: Artaud, Wagner und Goebbels. Fast möchte man zugreifen, so beiläufig sind die Erinnerungsstücke inszeniert. Bis zu 50.000 Bücher nennt Meese sein Eigen. Die unendlichen Weiten der Lager, in denen sich auch Tausende von Videokassetten befinden sollen, malt man sich lieber nicht aus. Allein 30 Exemplare sind Kubricks Klassiker »Clockwork Orange« gewidmet. Lost in Obsession.
Und das ist es, wovon diese Ausstellung erzählen will, von Künstlerseelen im Griff ihrer Hortungsbegierden. Der materialhungrige Provokateur, der hier seine Trash-Sozialisation nachverhandelt, ist einer von sieben zeitgenössischen Künstlern, die sich der Ausstellungsfläche im MARTa Herford bemächtigt haben. Akkumulation heißt das Zauberwort, das die Pforten zu den aufs Schönste disparaten Tresoren öffnet. Jeder bekam einen Raum zugeteilt, den er nach eigenem Gusto gestalten durfte. Das Phänomen Künstler-Sammlung war bisher kein von Kuratoren umworbenes Terrain. Dabei dienen die mehr oder weniger wertvollen Objekte nicht selten als Inspirationsquelle – was die von der Routine erfreulich abweichende Schau doppelt interessant macht.
BESITZ IST EINE ZWEIFELHAFTE KATEGORIE
Das Gegenstück zu Meeses enthemmter Kinderstube hält Karin Sander bereit. Die Konzeptkünstlerin und Professorin in Zürich sortiert Werke von Kollegen wie Anselm Reyle oder Thomas Ruff der Größe nach und schafft damit einen selbstständigen Referenzrahmen. Sie hat sie nicht etwa systematisch erworben, sondern als Symbol der Wertschätzung getauscht. »Besitz« ist für sie eine zweifelhafte Kategorie. Mit jedem Werk verbindet sie eine Geschichte, privat und kostbar. Auch wenn sich diese dem Betrachter nicht immer erschließt, spürt er die intimen Fäden hinter der strengen Aneinanderreihung.
In Dialog mit anderen Positionen tritt auch die Malerin Katharina Grosse. Knapp unter der Decke spricht Rémy Zauggs Schriftbild »Schau, ich bin blind, schau« zu den Installationen und Skulpturen herunter, die sich zu einem kryptischen Verweiskosmos zusammenfügen. Grosse empfindet ihre Sammlung als ein Labor, in dem sie mit fremden Gedanken jonglieren kann. Darunter sind auch Arbeiten von Karin Sander. Eine ihrer Bodyscan-Figuren taucht in einem heimeligen Sekretär auf. Sogleich fragt man sich irritiert: Ist das Möbelstück Teil der farblich in alle Richtungen zerlaufenden Figur? Oder ist das eine gänzlich subjektive Manipulation, die keine Institution wagen würde?
An Kunst von Kollegen findet der Schweizer Helmut Federle, der 1997 sein Land auf der Biennale von Venedig vertrat, keinen Gefallen. Er gibt lieber den vom Zufall getriebenen Ethnologen. Auf Reisen in Asien, Amerika oder dem Maghreb häuft er »verschiedenste Dinge« an, wie er sagt. Ohne Sinn und Stringenz. Und er möchte sie keineswegs in seiner Kunst verarbeiten. Das wäre für ihn »illustrativer Referenz-Kitsch«. Viel eher versteht er sie als Gegenwelt. Es sind vielmehr die Ideen hinter den Kimonos, Navajo-Teppichen oder der Ziviljacke eines G.I.s aus dem Vietnamkrieg, die später wie ein fernes Echo in seiner Arbeit auftauchen.
Der Österreicher Herbert Brandl, Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf, erweist sich ebenfalls als Liebhaber von Weltkultur. In der Obhut seiner Wunderkammer befinden sich Samurai-Schwerter, chinesische und japanische Papierrollen oder indische Blankwaffen. Ihre Motive finden selbstverständlich den Weg in seine Malerei. Eine Transformation, die parallel zu den Wechselausstellungen verläuft, die er den jeweils favorisierten Fundstücken in seinem Atelier ausrichtet.
Friedrich Kunath, der in Los Angeles lebt, hat ebenfalls seine Arbeitsstätte entrümpelt und sie im Museum vor der Kulisse einer schwarzen Tapete neu installiert. Der Maler und Objektkünstler mag es gemütlich. Eine Couchgarnitur lädt zum Verweilen ein. Ein Film mit einem schwimmenden Burt Lancaster flimmert über einen Bildschirm. Außer-dem präsentiert Kunath einige Retro-Lampen-Ungetüme, die darauf schließen lassen, dass er gern über Flohmärkte streift. Einen sperrigen Mantel aus Baumrinde fand er in einem Antiquitäten-Geschäft. Ein untragbares Monstrum, das 1940 für die chinesische Staatsoper angefertigt wurde. Ein Lederkamel komplettiert dieses Panoptikum der Populärkultur. Es könnte direkt von einem Hollywood-Set stammen.
Seinen Besitzer zieht es offenbar auch immer wieder in fremde Ateliers, wo er dies und das zusammenträgt: Eine Zeichnung von Konrad Klapheck, die von Tennisschlägern schwärmt, etwa. Ebenfalls im Fundus finden sich Hanne Darboven, Kippenberger, der in die Fußstapfen eines Spiderman tritt, und Walther Dahn, der die Vorzüge von »Dust in Memphis« preist. Für akustische Atmosphäre sorgen alte Vinyl-Platten aus der Abteilung New Age. Hier lässt es sich wahrlich arbeiten.
ZEHN KÜHLTRUHEN
Die Handschrift von Bogomir Ecker hebt sich deutlich ab. Das liegt unter anderem an den zehn Kühltruhen, die der Bildhauer in seinem Raum arrangiert und mit eigenen Skulpturen gefüllt hat. Die silbern schimmernden Fernbedienungen, Mikros und Antennen werden nicht nur von einer Eisschicht überwuchert. Sie sind das Entree zu einer faszinierenden Installation, wo an den Wänden Hunderte anonymer Presse-Fotografien mit den Plastiken kommunizieren. Sie erweisen sich geradezu als hypnotisches Zentrum der Schau. Ihr Schwerpunkt liegt auf den 1930er und 40er Jahren. Es ist die schwarz-weiße Welt von Arthur Feeling, der unter dem berühmten Pseudonym »Weegee« mit seinen Bildern von Unfallopfern und erschossenen Gangstern die nächtlichen Abgründe von New York festhielt. Die meisten der hier versammelten, mitunter unheimlich direkten Vintage-Aufnahmen kommen aus den Archiven US-amerikanischer Zeitungen. Sie dienten Ecker zunächst als Referenzen für seine Arbeiten. Dann verselbständigte sich der Sammeltrieb. Der Künstler kaufte bei Auktionen und griff auf Quellen im Internet zurück. Seit dem Siegeszug der digitalen Fotografie ist der Markt überschwemmt von analogen Originalen. Wenn sie keinen Abnehmer finden, werden sie von den Redaktionen nicht selten einfach weggeworfen. Rund 15.000 Fotos besitzt Ecker inzwischen. Der Preis bewegte sich in den vergangenen 15 Jahren zwischen 10 und 500 Dollar.
Ein unglaublicher Fundus unterschiedlichster Realitäten und Milieus vergangener Zeiten. Angeklagte auf der Flucht vor den Zudringlichkeiten der Journalisten. Frauen, die hilflos mit Gasmasken hantieren. Jede Geste ein Schlag in die Magengrube. Kriegsmanöver finden sich in dem enzyklopädischen Katalog ebenso wie Abhöranlagen der Geheimdienste, Schlangen von Arbeitslosen, elektrische Stühle, Atombombentests oder Ku Klux Klan-Pogrome. Ein Atlas der Grausamkeiten, der mitunter auch mit etwas scheinbar Harmlosem wie Parkplätzen, Vogelschwärmen oder schlafenden Kindern aufwartet.
Alles in allem erweist sich »Freundliche Übernahme« als anregende Exkursion zu den Quellen der Kreativität. Keine der vermittelten Strategien ähnelt der anderen. Beim Rundgang kommt man sich vor wie ein Voyeur – eingeschleust in heimliche Ideenlandschaften. Vor allem diejenigen, denen das Wirken der gezeigten Akteure bekannt ist, kommen auf ihre Kosten. Sie stehen angeregt auf einer Bühne aufschlussreicher Selbstbespiegelungen. Am Ende haben sie sich satt gesehen – wie nach einem abwechslungsreichen Sieben-Gänge-Menü. Die anderen müssen nur lange genug in Friedrich Kunaths Plattensammlung hineinlauschen, dann erreicht sie die Botschaft: Dieses Museum kann noch mehr.
Bis 5. Oktober 2014 im MARTa Herford. Tel.: 05221 / 9944300. www.marta-herford.de