TEXT: GUIDO FISCHER
Es ist schon lange her, dass in der großen Klosteranlage Mönche einherwandelten. Auch die letzten Handwerker haben Ende der 1990er Jahre hier ihre Betriebe geschlossen. Trotzdem ist das zwischen Düsseldorf und Köln gelegene Kloster Knechtsteden, dessen Ursprung bis ins Mittelalter zurückreicht, ein Treffpunkt nicht nur für Gläubige geblieben. Im Missionshaus leben Ordensleute aus aller Welt. Es gibt Künstlerateliers und Kunstwerkstätten. Zu den regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen gehört neben einem mehrwöchigen Theatersommer das Festival für Alte Musik, das über die Landesgrenzen hinaus exzellenten Ruf besitzt. In der zweiten Septemberhälfte gastieren namhafte Spezialisten für den historischen Originalklang. Zudem wählt Festival-Gründer Hermann Max Jahr für Jahr Werke aus, die man anderswo bei ähnlichen Alte Musik-Terminen nicht zu hören bekommt.
So etwa setzt Max bei der 23. Ausgabe, die unter dem Motto »Götter & Menschen« steht, mit dem kaum bekannten Oratorium »Der Tag des Gerichts« seine intensive Beschäftigung mit dem geistlichen Komponisten Georg Philipp Telemann fort. Die mehrfach ausgezeichnete Sopranistin und Barocknachtigall Dorothee Mields widmet sich mit dem Kölner Ensemble Harmonie Universelle auch dem Kantatenwerk des Bach-Sohns Johann Christoph Friedrich. In einer szenischen Einrichtung leitet Max die derbe Madrigalkomödie »Barca di Venezia per Padova« von Adriano Banchieri, der 1605 einen betrunkenen Deutschen, einen Asthmatiker aus Venedig und eine Florentiner Tunte auf eine gemeinsame Bootsfahrt schickte.
Mit solchen amüsanten Musikarchivausgrabungen sorgt Hermann Max für Durchlüftung der Alten Musik-Szene. Überhaupt unterstreicht er mit dem aktuellen Programm neuerlich seinen Ruf als Kapazität für all das, was es gerade an den Randbezirken der Barockmusik noch zu entdecken gibt. Der Forschergeist ist dem studierten Kirchenmusiker, Kunstgeschichtler und Archäologen seit fast vierzig Jahren eingeschrieben. Mit der 1977 gegründeten Jugendkantorei Dormagen, die 1985 in Rheinische Kantorei umgetauft wurde, sowie mit dem Barockorchester Das Kleine Konzert besaß Max früh zwei Ensembles, mit denen er sich besonders auf die mitteldeutsche Barockmusik konzentrierte. Und was hat er seitdem nicht alles mit großem Erfolg auch auf eztlichen CDs eingespielt! Geistliche Musik vom Bach-Umfeld genauso wie von Graun, Graupner und Hasse. Außerdem kehrt Hermann Max immer wieder zu Telemann zurück, der ein erstaunlich reiches, indes kaum bekanntes Vokalschaffen hinterließ.
Es mache ihm einfach Spaß und interessiere ihn, »gerade da auf die Suche zu gehen, wo sich bislang noch keiner oder nur wenige hingewagt haben«, sagt Max, der für seine Arbeit mit Schallplattenpreisen, Ehrenmedaillen und 2012 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.
Doch wie er im Eröffnungskonzert des Knechtsteden-Festivals zeigen wird, ist er auch Fachmann für die deutsche Romantik. Nach Oratorien von Ferdinand Ries und Max Bruch beschäftigt er sich nun mit dem »Elias« von Felix Mendelssohn Bartholdy. Aber statt einer konventionellen Aufführung erwartet das Publikum eine szenische Fassung, bei der die Sänger mit Masken auftreten, wie man sie in der griechischen Tragödie trug und wie sie auf der Bühne in Inszenierungen von Jürgen Gosch und Karin Beier als Zitat des Archaischen zu sehen waren. Diese »Elias«-Version mag nicht den Gesetzmäßigkeiten der historischen Aufführungspraxis entsprechen, aber Max war noch nie ein Dogmatiker unter den Originalklangvertretern, sondern ein Musiker des Experiments.
Festival Alte Musik Knechtsteden; 19. bis 28. September 2014, Kloster Knechtsteden. www.knechtsteden.com