TEXT: GUIDO FISCHER
Bach und Boulez, Vivaldi und Schönberg oder Cello-Konzerte von Haydn und Ligeti – das ist im Groben das vielfarbige Repertoire-Spektrum von Jean-Guihen Queyras. Wer sich genauer die Liste der von ihm gespielten Werke und Komponisten anschaut, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Als begeisterter Kammermusiker hat sich Queyras mit Streichquartetten von Schubert und Bartók beschäftigt, als Solist Konzertantes des vergessenen Bach-Zeitgenossen Matthias Georg Monn ausgegraben. Bei zeitgenössischen Komponisten wie Bruno Mantovani und Jörg Widmann gibt er neue Stücke in Auftrag.
Jean-Guihen Queyras und Stillstand? Das passt nicht zusammen. Vielmehr scheint der in Kanada geborene, in Frankreich aufgewachsene 47-Jährige sich selbst zu überholen, um so viel wie möglich an guter bis sehr guter Musik kennenzulernen und sie am besten mit Freunden zu spielen, zu genießen, zu feiern.
Tatsächlich erweist sich jede Aufnahme als Beleg für den enorm vielseitigen Künstler. Mehr als Fingerübungen, eher Psychogramme eines Talents. Was Queyras zwischen alter und neuer Musik als lohnenswert ansieht, angefangen von der italienischen Barockmusik über die deutsch-österreichische Romantik bis zur klassischen Moderne und der Gegenwart – er musiziert alles mit entwaffnender Energie und Empfindsamkeit. Dabei ist es nahezu gleichgültig, ob er mit Könnern der historischen Aufführungspraxis wie dem Freiburger Barockorchester zusammenspielt oder mit Orchestern, die vorrangig auf zeitgenössische Musik abonniert sind.
Schon zu Beginn seiner Laufbahn stand für Queyras fest, dass er als Musiker Neuland erforschen und nicht beim Althergebrachten stehen bleiben wollte. Infiziert von den Pionieren der Alte Musik-Bewegung wurde er in seiner Kindheit, als daheim die Aufnahmen von Nikolaus Harnoncourt liefen. Nachdem die Eltern dem 13-Jährigen erlaubten, die Schule abzubrechen und ein Cello-Studium in Lyon zu beginnen, war die Karriere programmiert. Queyras machte mit seiner Begabung schnell von sich reden und hatte bereits als Teenager die sechs Bach-Suiten für Violoncello solo präpariert und parat. Auf Ausbildungsstationen in Freiburg und New York folgte 1990 die erste große Festanstellung. Pierre Boulez verpflichtete ihn nach Paris und machte Queyras zum Solo-Cellisten des Neue Musik-Ensemble intercontemporain (EIC).
Die tägliche Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Werken sollte seine Einstellung gegenüber der Musik völlig verändern. »Eine existenzielle Erfahrung«, so Queyras, der 2001 das EIC verließ, um sich fortan auf seine zahllosen Solo-Aktivitäten zu konzentrieren. Dazu zählen Kammermusik-Projekte etwa mit den Pianisten Andreas Staier und Alexandre Tharaud. Seit 2002 bildet er u.a. mit der Bratscherin Tabea Zimmermann das Arcanto Quartett. Nachdem Queyras in der vergangenen Saison mit der Geigerin Isabelle Faust alle Solokonzerte von Robert Schumann an einem Abend gespielt hatte, treffen sich die Zwei zum Beethovenfest beim Tripelkonzert Beethovens wieder, gemeinsam mit dem südafrikanischen Pianisten Kristian Bezuidenhout.
Zwei Tage zuvor stellt Queyras bei der Ruhrtriennale in einem mehrstündigen Konzert ein von ihm initiiertes außergewöhnliches Bach-Projekt vor. »Six Suites – Six Echoes« kombiniert die sechs Cello-Solomanifeste Bachs mit sechs kurzen Bach-Reflexionen, die namhafte Komponisten wie György Kurtág oder Jonathan Harvey für ihn geschrieben haben. Bach im 21. Jahrhundert – so muss er klingen.
Konzerte mit Jean-Guihen Queyras: Ruhrtriennale: Solo mit Werken von Bach, Fedele, Kurtág u.a.; 15. September 2014, Maschinenhaus / Zeche Carl, Essen. Beethovenfest: Beethovens Tripelkonzert mit Isabelle Faust, Kristian Bezuidenhout, Rotterdams Philharmonisch Orkest unter Yannick Nézet-Séguin; 17. September 2014, Beethovenhalle, Bonn.