Das Tanztheater Wuppertal hat manches Liebesglück gestiftet. Das schönste Beispiel sind Malou Airaudo und Dominique Mercy, deren Tochter Thusnelda seit vielen Jahren ebenfalls im Ensemble tanzt. Doch jetzt bringt zum ersten Mal ein Paar sein von Pina Bausch geprägtes Künstlertum und die eigene Beziehung auf die Bühne: Fabien Priovilleund Azusa Seyama wagen mit »Time for us« eine sehr persönliche Arbeit. Die Uraufführung findet Anfang Juni im Tanzhaus NRW in Düsseldorf statt.
Ein Hauch von Voyeurismus scheint im Spiel, so dass man schon geneigt ist abzuwinken. Doch dann ist da dieser Trailer im Internet, entstanden in einer Probenpause im Hinterhof des Tanzhauses, aufgezeichnet von einem Smartphone. Das Ehepaar Prioville/Seyama sitzt in Trainingsklamotten schweigend nebeneinander. Er trinkt Cola aus der Dose, sie reibt sich die Augen, gehüllt in eine Decke. Da zeigt die Japanerin mit dem Finger in verschiedene Richtungen. Er geht darauf ein, spielt mit. Ihre Hände und Finger finden einen Rhythmus, beginnen zu tanzen. Es entwickelt sich eine filigrane Choreografie, der das unterlegte Chanson »Que reste-t-il de nos amours« von Charles Trenet eine leichte, träumerische Note gibt. Wunderschön. In dieser spontanen Improvisation offenbart sich bereits ihre Kunst.
Die Szene ist nicht Teil der Produktion. »Aber sie gibt die Stimmung wieder«, findet Fabien Prioville. Für ihn hat »Time for us« eine ganz besondere Bedeutung: »Es ist unser erstes gemeinsames Stück. Meine Frau arbeitet sehr viel mit dem Tanztheater Wuppertal und ist oft auf Tournee.« Hinter dem Titel könnte also gut noch ein »finally!« stehen.
Prioville war von 1999 bis 2006 in der Company engagiert. Seitdem geht er eigene Wege. Mit der fabien prioville dance company hat er Choreografien entwickelt, die vor allem auf den neuen Kommunikationstechnologien basieren: das Solo »Jailbreak Mind« über den Einfluss gewaltverherrlichender Computerspiele, das Duett »Experiment on Chatting Bodies« mit Pascal Merighi – ebenfalls ein ehemaliger Bausch-Tänzer – über Selbstdarstellung in Chatrooms. Und zuletzt »Smartphone Project«, bei dem eine spezielle App die Bühnenrealität erweitert.
Azusa Seyama tanzt seit 14 Jahren in der weltberühmten Company. Für sie ist das Projekt eine Gelegenheit, wieder in einen kreativen Prozess eingebunden zu sein. Seit dem Tod von Pina Bausch 2009 ist im Opernhaus Barmen nichts Neues mehr entstanden.
Der Franzose und die Japanerin wollen ihr Selbstverständnis als Tänzer reflektieren – in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. »Und wir kommentieren unsere Prägung durch das Wuppertaler Tanztheater«, gibt Prioville zu Protokoll. Für seine Frau sei das eine große Herausforderung, da sie sich als aktuelles Mitglied stark mit ihm identifiziere. Die Produktion werde ihre Wandlungsfähigkeit und ihre unterschiedlichen Bewegungsqualitäten zeigen.
Das Engagement bei Pina Bausch bedeutet für beide nicht nur, dass sie einander gefunden haben. »Sie veränderte mein Leben«, sagt Prioville. Er erlebte, wovon viele seiner Kollegen berichten: Die geniale Choreografin sah Dinge in ihm, die ihm selbst nicht bewusst waren. »Sie wählte ihre Tänzer für bestimmte Rollen aus. In mir sah sie Jan Minarik«, erzählt der Tänzer. Als er dessen Rolle in »Nelken« einstudieren sollte, habe er ihr gesagt, dass er das nicht könne. Sie habe nur gesagt: »Du kannst das.«
In »Time for us« wird also einiges an die Ikone erinnern. Zumal Marc Wagenbach, Archivar am Tanztheater Wuppertal, die Dramaturgie übernommen hat. Die Musik ist eine Collage aus Pop, Klassik und Stille. Und auf der Bühne gibt es nur drei Objekte. Welche, wird nicht verraten: Das Stück baut auf Überraschungseffekten auf. Ob bei Pina oder Priovilles – letztlich geht es immer um dasselbe: um zwei Menschen, die sich begegnen.
Auff. 6. & 7. Juni 2014. http://tanzhaus-nrw.de + www.fabienprioville.com