TEXT: ULRICH DEUTER
Von Anfang an wohnt der Ruhrtriennale ein leichter Affekt gegen das Stadttheater inne – expressis verbis am stärksten von Gründungsintendant Gerard Mortier sowie seinem dritten Nachfolger Heiner Goebbels formuliert, der 2014 die dritte und letzte Ausgabe seines Zyklus’ gestaltet. Auch Goebbels träumt Pierre Boulez’ Traum, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen, was er vorrangig mit dem Dynamit der Spartenübergriffigkeit vollbringen möchte. Das gefällt nicht allen und macht die Goebbels-Triennalen vielleicht etwas spröde, vielleicht einfach auch nur scharfkantig; stärkt aber doch am Ende des Tages das Profil des ganzen Festivals. So war auch dieses Jahr nicht zu erwarten, dass der nette Komponist aus Neustadt an der Weinstraße am Ende seines ruhrgebietlichen Wirkens auf einmal nette Unterhaltung präsentieren würde, geschlossene kulinarische Abende mit Erhabenheitsempfindungsgarantie. »Musiktheater, das die Grenzen zu den anderen Künsten nicht mehr kennt: zum Theater, zum Tanz, aber auch zur Ästhetik der Installation und Performance«, so benennt Goebbels den Schwerpunkt seines 2014-er Angebots.
Aus dem gewohnten Rahmen kippt schon der Start Mitte August: Er erfolgt nicht am Ankerplatz Jahrhunderthalle, sondern in der Duisburger Kraftzentrale, und zwar mit schwerem ›Stoff‹: Zu erleben ist »De Materie«, ein »Musik Theater Werk« des 1939 geborenen niederländischen Komponisten Louis Andriessen, eine philosophisch-musikalische Reflexion über Materie, Geist und Gesellschaft, der Heiner Goebbels in seiner Inszenierung (mit dem Ensemble Modern und ChorWerk Ruhr) weitere Dimensionen hinzufügen will – keine fröhliche Festival-Ouvertüre, sondern ein alle Rezeptionsmuskeln forderndes Hauptstück. Vergleichbare Anstrengung fordern vermutlich Romeo Castelluccis »Choreografie für 40 Maschinen« auf Igor Strawinskys »Sacre du Printemps« sowie seine Inszenierung von Morton Feldmans Komposition zu Samuel Becketts Zehnzeilentext »Neither«. Deutlicher als in diesem Titel – zu deutsch bekanntlich »weder« – lässt sich Heiner Goebbels’ Passion kaum ausdrücken.
Auch Matthew Barneys »River of Fundament« ist eine gattungsverhöhnende Schimäre, ist Kino, Oper, Konzert, Performance, Skulptur und was sonst noch. Thema und Atmosphäre nach ist dieses Werk des mit »Cremaster« berühmt gewordenen amerikanischen Künstlers der Abgesang auf eine alte Welt, den Untergang Detroits und den Tod Norman Mailers. Wiedergeburt als wechselnder Autotyp? Dieser Frage geht der Film (?) nach.
Anstrengung, Arbeit durchzieht als ein Hauptstrang die Triennale – sind Anstrengung und Arbeit Synonyme, oder kann Arbeit auch Glück sein? 400 Antworten darauf gibt der Filmemacher Harun Farocki in seiner Video-Installation »Eine Einstellung zur Arbeit« im Museum Folkwang, drei Jahre lang war er (gemeinsam mit Antje Ehmann) in 15 internationalen Großstädten unterwegs, filmte bezahlte und unbezahlte, materielle und immaterielle, industrielle und postindustrielle Tätigkeiten – Magie des Faktischen.
»Freue mich, das Museum samt Park umzugraben. Ganz nah den vergessenen Gräbern tief in der Erde werden wir plötzlich wieder auf die Welt geworfen«, so lautete die Antwort des Raum-Künstlers Gregor Schneider auf Heiner Goebbels’ Bitte um eine Arbeit für die Ruhrtriennale. »Totlast« nennt er sein Vorhaben, das Wort meint das Eigengewicht von Geräten, im Duisburger Lehmbruck Museum wird die Schneider-typische Um- und Einstülpung entstehen und das Kunst-Haus in Form, Funktion und Aussehen verändern, verstören, privat und unheimlich machen.
Erhalten bleibt uns auch dieses Jahr also das schwer zu Beschreibende, schwer zu Sortierende. Erhalten bleiben uns aber auch so glasklar als solche erkennbare Tanzabende wie die von Anne Teresa De Keersmaeker (diesmal mit »Verklärte Nacht«) oder Boris Charmatz (diesmal »manger«, eine Uraufführung, wieder mit Kindern). Wie aber wird das Solo von Tino Sehgal aussehen?
Aus den zirka 30 Produktionen – davon über die Hälfte Uraufführungen, Neuproduktionen und Deutschlandpremieren – sei noch »Surrogate Cities« genannt, eine »Choreografie für das Ruhrgebiet« von Mathilde Monnier, (in dieser Form) uraufgeführt wiederum in der Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg Nord: Die Bochumer Symphoniker sowie 140 Akteure aus der Region werden das musikalisch-tänzerische Porträt einer imaginären Metropole erstellen, von Heiner Goebbels komponiert aus Mustern von Stadtplänen und Klangeindrücken aus Berlin, New York oder Tokio.
15. August bis 28. September 2014. Ticket Hotline 0221/280 210. www.ruhrtriennale.de