Als Robert Gwisdek vor kurzem in der Berliner Volksbühne seinen Debütroman »Der unsichtbare Apfel« vorstellte, versuchte er, die Handlung und Struktur der Geschichte grafisch aufzuzeichnen. Am Ende war die Tafel mit unübersichtlich-wirren Kringeln und Linien gefüllt, und Gwisdek gab fröhlich-überfordert zu: »Das ist der Roman, ungefähr, ganz grob aufgezeichnet!«
Er hat das trotzdem ganz gut getroffen – die Geschichte von Igor ist ähnlich komplex und ausufernd. Schon als Kind will dieser Igor die Welt begreifen, glaubt erst an die Existenz der Dinge, wenn er diese mit seinen eigenen Händen angefasst hat, empfindet Heimweh nach dem Ort, an dem er sich befindet und hält Zwiesprache mit dem Universum. Er spricht mit Schnecken und sortiert Schachteln in Schachteln ein. Später wird er misstrauisch gegenüber der Welt, kann sich nicht die unbegreifliche Unendlichkeit des Universums erklären und verliebt sich auf tragische Weise in Alma. Auf dem Rücken in seinem Zimmer liegend, übt er, zur Fläche zu werden und irgendwann verabschiedet er sich ganz aus dieser Welt, mit dem Ziel, 100 Tage lang in einem stockfinsteren Raum zu verbringen: »Entferne dich, Welt, oder du machst uns zu Feinden. Das Band ist gekappt.«
Was folgt, ist ein Taumel in eine bodenlose Finsternis und Irrealität; bald weiß Igor selbst nicht mehr, was Wirklichkeit und was Wahnvorstellungen sind. Er spricht mit Tieren und Menschen, hört Geräusche, läuft durch Gebäude und Wälder und trifft immer wieder auf geometrische Formen, die auf ihn reagieren. Irgendwann verliert man bei der Lektüre selbst die Orientierung und fragt sich wie im Film »Inception«, auf welcher Ebene des Unterbewusstseins man denn gerade unterwegs ist. »Der unsichtbare Apfel« ist ein überkomplex-abstrakter Text, dessen ineinander verschränkte Wahrnehmungsstrukturen auf Dauer aber ermüden. Könnte sein, dass das durchaus so gewollt ist. »Vorsichhinwabernder Wortschlamm« – so hat der Autor, Schauspieler und Musiker Robert Gwisdek diesen Zustand des Geistes und der Gedanken in einem Interview bezeichnet. Man wünscht sich, dass die Tür endlich aufgebrochen wird und dieser Igor im Wunderland in das harte Licht der Realität zurückgezerrt wird.
Robert Gwisdek: »Der unsichtbare Apfel«; Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, 368 Seiten, 12,99 Euro
Lesung am 12. April 2014 in der Zeche Carl, Essen