TEXT: ANDREAS WILINK
Die Dichterin ist kapriziös und nervös, zweifelt an sich und ihrer Lyrik, wie es sich für Kreativwesen gehört. Elizabeth Bishop (Miranda Otto) kennt sich aus in der Kunst des Verlierens und Selbst-Verlustes. »Reaching for the Moon«, lautet einer von Bishops Versen: Es ist der Mond für die Beladenen, die Nachtschwärmer, die Traumsüchtigen, die Saturniker. Wir treffen sie zuerst im Central Park des Jahres 1951. Und bald darauf in Rio, wo sie ihre ehemalige College-Freundin Mary (Tracy Middendorf) besucht. Die lebt dort mit einer Frau zusammen, Lota, einer Brasilianerin, Architektin und Großbürgerin (Glória Pires), herrisch, vital, stark, besitzergreifend, großzügig. Miss Bishop reiste auf ein paar Tage – und bleibt für lange. Ihr Blick ist skeptisch bis irritiert, ein fotografisches Auge, das alles aufnimmt, registriert und ablegt. »Beobachtungen in Zeilen gepresst«, wie ein befreundeter Kollege wohlwollend kritisiert. Vielleicht ist sie verkrampft.
Im Leben kann sie nicht sehr viel. Elizabeth Bishop (1911 bis 1979) tut sich schwer mit Fremdem und Ungewohntem. Ist schüchtern, schamhaft und blass wie eine Henry-James-Heldin: Porträt einer Lady. Sie hat ihre Neurosen und eine Nuss-Allergie, so dass ihr Körper rebelliert. Ihre brasilianischen Gastgeber stößt sie vor den Kopf, wenn sie Rio als Kreuzung aus Mexico City und Miami charakterisiert. Bei Tisch verweigert sie ein Glas Wein, auf ihrem Zimmer greift sie zur Flasche.
Im Dreieck der Frauen – einer höchst labilen Konstruktion – verschieben sich bald die Schenkel-Linien. Als einmal ein Gewitter ausbricht, sieht man in das elegante gläserne Wohnhaus, darin eine Trennwand symbolisch und real Elizabeth und Lota von Mary separiert. So sind die Verhältnisse. Elizabeth und Lota begehren einander und geben dem Gefühl nach. Mary wird mit einem gemeinsam adoptierten kleinen Mädchen (der Mutter abgekauft) ruhig gestellt. Eine Patchwork-Familie avant la lettre. Lota regelt alles, baut für Elizabeth ein Arbeits-Studio, sprengt es aus dem Felsen über dem traumhaft schönen Anwesen. In ihren feudalen Kreisen können die beiden sogar die gleichgeschlecht-liche Beziehung offen zeigen.
Noch scheint das Idyll perfekt. Bishops Gedichtband »North and South« gewinnt den Pulitzer-Preis, und Lota beginnt, die Idee für den Flamengo Park am Strand von Rio zu entwickeln, und sich politisch für den Gouverneur Carlo Lacerda zu engagieren, der sich bald als rechter Putschist erweisen wird. Doch nun machen sich Spannungen bemerkbar: Eifersucht, Besitzforderungen, Erwartungen, das Bedürfnis nach Abstand bei Elizabeth Bishop, der Anspruch der Kontrolle bei Lota.
Bruno Barreto erzählt, atemberaubend schön, opulent, psychologisch fein mit seinen großartigen Darstellerinnen von einer maßvollen, gewissermaßen geregelten, doch nicht minder gefährlichen Liaison dangereuse und amour fou.
»Die Poetin«, Regie: Bruno Barreto; Darsteller: Miranda Otto, Glória Pires, Tracy Middendorf; Brasilien 2012, 110 Min.; Start: 10. April 2014.