TEXT: GUIDO FISCHER
Früh übt sich, wer Genie sein will. Mozart jedenfalls bewies sich selbst auf dem Gebiet der Opernarie schon früh. 1763 schrieb er die Arie »Va, dal furor portata«, die als sein erstes überliefertes Gesangswerk gilt und entsprechend im Köchel-Verzeichnis mit der Nr. 21 weit vorn rangiert. Laut Librettist Pietro Metastasio musste Mozart kompositorisch in die Rolle eines Liebhabers außer Rand und Band schlüpfen. Was dem Neunjährigen mit seinem angeborenen Musiktheater-Instinkt und künftigen Frauenheld keine Schwierigkeiten bereitet haben dürfte.
Auf den Tenor hingegen warten in der sechsminütigen Talentprobe schweißtreibende Mini-Kadenzen, die lupenrein hingelegt werden wollen. Doch die sind für einen Rolando Villazón kein Problem. Nach endlich auskurierter Stimmkrise präsentiert er sich auch unter gesangstechnisch höchstem Druck mit gewohntem Feuer und Durchschlagskraft. So kommen Vokal-Gourmets noch bei der fast völlig übersehenen Mozart-Trouvaille auf ihre Kosten.
Nun sind laut eines ungeschriebenen Gesetzes solche Stücke des blutjungen Mozarts zumindest für die absolute Klassik-Spitze tabu. Für sie beginnt das wahre Genie Mozart erst irgendwo ab KV 150. Aber nicht für Villazón. Für den Mexikaner sind auch diese selten zu hörenden Konzertarien nur ein weiterer Stein im großen Mozart-Puzzle, an dem er seit 2011 arbeitet. Damals gab er sein Mozart-Debüt in der kaum aufgeführten Serenata »Il re pastore« und trat zudem in Baden-Baden im »Don Giovanni« auf und initiierte damit ein ambitioniertes, auch von ihm kuratiertes Opernprojekt.
So sollen in den folgenden Jahren Mozarts sieben reife Opern in Baden-Baden aufgeführt und gleichzeitig für CD mitgeschnitten werden. Im Juli etwa steht »Die Entführung aus dem Serail« auf dem Spielplan. Wiederum wird der kanadische Dirigent Yannick Nézet-Seguin – wie schon bei den Aufnahmen von »Don Giovanni« und »Così fan tutte« – die Leitung übernehmen.
Für die aktuelle CD mit zwölf Konzertarien tat sich der Mozart-infizierte Tenor hingegen mit Antonio Pappano und dem London Symphony Orchestra zusammen. Mit ihm arbeitete er vor drei Jahren just am Londoner Royal Opera House, als er Pappano von einem Fund erzählte, den er kurz zuvor in einer Münchner Musikalienhandlung gemacht hatte. Eigentlich war Villazón auf der Suche nach neuen Editionen von Da Ponte-Opern, als er eine Ausgabe mit Konzertarien entdeckte. Beim Durchblättern sagte er sich: »Das ist es. Das ist ein Projekt.«
Das eher abseitige Mozart-Programm ohne jeden seiner »Schlager« musste sogar ein Star wie Villazón bei seiner Plattenfirma erst durchsetzen. Andererseits kann man sich lebhaft vorstellen, wie sein Temperament und Enthusiasmus für das Arien-Album zu werben wussten, das die Spannweite von Drama bis Buffo, von Erhabenheit bis Klamauk umfasst. Besonders gilt dies für all die sogenannten Einlage-Arien, die Mozart für die Opern der Kollegen Piccinni und Hasse schrieb und die Villazón, begleitet vom Kammerorchester Basel, bei seinem Debüt im Dortmunder Konzerthaus singen wird. Wenn Villazón in einer der Arien, in »Clarice cara mia sposa«, in urkomisches Dauergeplapper verfällt, begreift man, weshalb er Mozart als nahen Freund empfindet. Für Villazón zeigt sich der Komponist hier von seiner clownesken Seite, die der tenorale Faxenmacher ebenfalls gern hervorkehrt.
29. April 2014, Konzerthaus Dortmund. www.konzerthaus-dortmund.de