INTERVIEW: ULRICH DEUTER
K.WEST: Das Festival heißt im Untertitel: »This is not Detroit«. Diesen Satz kann man sehr unterschiedlich aussprechen: von konstatierend bis widerständig. Was bedeutet er für jeden von Ihnen?
ASSMANN: Für mich bedeutet er die Provokation einer Selbstermächtigung für alle, die es angeht: alle die in Bochum arbeiten und leben, alle Künstler und Kuratoren, die mit dem Projekt zu tun haben. Detroit ist eine ferne Größe, die entscheidet, was mit dieser Stadt Bochum passiert. Aber wir wollen das nicht hinnehmen, sondern selber die Verantwortung für Stadt und Zukunft in die Hand nehmen.
KRÖCK: Interessanterweise hat sich dieser Untertitel während der Vorbereitungsphase des Projekts verändert. Irgendwann ist deutlich geworden: Er sagt auch etwas Negatives über uns. Nämlich, dass Bochum nicht so hip ist wie Detroit. Dessen Niedergang ist prominent, ist komplett fotografisch erfasst, er scheint eine Form von Erotik zu besitzen, die künstlerisch verwertbar ist – Jim Jarmusch hat jetzt sogar dort einen Film gedreht. Die Verbindung mit Detroit hat uns zunächst Aufmerksamkeit verschafft. Aber sie stellt uns auch vor die kritische Frage, ob wir mit unserem Kunstfestival einen solchen ›Hipness-Faktor‹ erzeugen können, dass die Aufmerksamkeit auf die Stadt wächst.
REICH: Zu Anfang haben wir »This is not Detroit« als Provokation in Richtung General Motors verstanden. Damals war das Opel-Thema ganz frisch und der Titel transportierte den ganzen Trotz: Wir gegen GM! Wir haben unsere eigene Identität! Dann hat sich die Bedeutung verändert, denn es geht heute viel mehr darum, sich nicht negativ abzugrenzen, sondern positiv neue Seiten an Bochum zu entdecken und zu erfinden.
K.WEST: In welchem Projekt des Festivals schlägt sich das, was der Titel für jeden von Ihnen bedeutet, am ehesten nieder?
ASSMANN: Ich glaube, fast eins zu eins übersetzen lässt es sich durch ein Projekt, das das »Studio umschichten« aus Stuttgart entwickelt hat. Die wollen unter dem Titel »Opelation« das, was Opel an Materialien hinterlässt, gemeinsam mit Menschen aus Bochum umbauen in Gegenstände des privaten Glücks. D.h., sie gehen auf Einkaufstour mit Opel-Verantwortlichen und sammeln Teile von Produktionsgebäuden ein oder von Autos, die in die Presse gewandert sind – Dinge, die Opel übrig hat und der Stadt zurückgeben möchte. Metaphorisch ist dagegen eines der spannendsten Projekte für mich das von Heather & Ivan Morison, »All’s well that ends«, weil es die Verbindung von den kleinen privaten Katastrophen und wie man mit ihnen fertig wird, übertragen kann auf eine größere Dimension. Beide Projekte vermitteln, was möglich ist, wenn man selbst Verantwortung übernimmt.
KRÖCK: Ich möchte mich auch auf zwei Sachen festlegen. Die eine ist das plakativste aller Projekte, die wir überhaupt machen. Nämlich, Tim Etchells von »Forced Entertainment« wird eine große Leuchtschrift an das Fördergerüst des Bergbau-Museums hängen, »How Love Could Be« wird sie lauten, eine Zeile aus dem allerersten Motown-Song überhaupt. Das ins Deutsche zu übertragen ist schwierig: Wie könnte Liebe sein, Was könnte Liebe sein, Was könnte sie bewirken usw. Dieser Schriftzug außen an einem der meistbesuchten Museen in Deutschland wird viele Fragen hervorrufen und Reaktionen erzeugen, positive wie negative. Das Gegenstück dazu macht wohl Robert Kuśmirowski, er baut einen Raum in der Zeche 1, ein Fake von dem, was wir hier an der Industriekultur so toll finden: diese rostigen Rohre, den Alterungsprozess der Orte der Arbeit. Beide Projekte sind ein Spiel mit den Dingen und Orten, die im Ruhrgebiet Identität bedeuten.
REICH: Wenn es um den Transformationsprozess geht, in dem eine Stadt wie Bochum sich befindet, der bedeutet, dass sie noch nicht so ganz weiß, wohin – dann interessiert mich das, was »basurama« vorhaben. Das ist ein Architektengruppe aus Madrid, die sich hier alles angeschaut haben und dann feststellten: Ihr wisst ja nicht, was Krise ist. Ändert euren Blick, schaut nicht auf die Dinge, die gerade schwierig sind, sondern auf die, die ihr besitzt. Ihr habt den ungeheuren Reichtum eines gut entwickelten und funktionierenden öffentlichen Raumes. Nutzt das und genießt es. Deshalb nennen sie ihr Projekt »Kollektiver Luxus«. »basurama« will einen offenen Aktionsraum schaffen, um mit den Stadtbewohnern herauszufinden, was wir brauchen. Das könnte z.B. ein Liegestuhl sein, um in der Stadt in der Sonne zu liegen. Aber den baut man sich dann auf jeden Fall selbst. Das andere, das ich nennen will, ist »Just in Time, just in Sequence«, eine Komposition von Ari Benjamin Meyers, die versucht, den Rhythmus der Fabrik, der diese Region so lange bestimmt hat, umzuwandeln in Musik. Die Partitur wird wahrscheinlich zwei Seiten lang sein, aber die Dauer der Aufführung beträgt acht Stunden, einen Arbeitstag und es wird ein großes Fest und Happening.
K.WEST: Kunst kann Arbeit nicht ersetzen. Was will sie dann bei ›Detroit‹ sein? Trostpflaster? Oder kann sie Zukunft aufzeigen?
ASSMANN: Ich hatte mit diesem Projekt niemals im Sinn, Arbeitsplätze zu schaffen. (Lachen.) Ich wünsche mir aber, dass wir den Politikern und Stadtplanern, die diese Stadt weiterbauen, zum Abschluss von ›Detroit‹ unsere Perspektiven vorlegen und ihnen sagen können: Wenn die traditionellen Planungskulturen nicht mehr greifen, weil sie nur auf Wachstum ausgelegt sind, dann schaut doch mal, was die Künstler dazu denken und ausprobiert haben. Vielleicht können wir davon lernen. Vielleicht kann man, was die Entwicklung der Stadt nach Opel, was z.B. auch die Neunutzung der Opel-Flächen angeht, noch ganz andere Arten von Partizipation einüben.
K.WEST: Der Hintergrund meiner Frage ist das Bild von jemandem, der von der Opel-Schließung direkt betroffen ist und der dann sicher eines nicht will: zum Trost kunstbespaßt zu werden.
KRÖCK: In der letzten Zeit hat es bei einigen Opelaner auch eine Haltungsänderung dem Detroit-Projekt gegenüber gegeben. Was vorher als Bekundung von Solidarität wahrgenommen wurde, verstehen manche nun als Angriff. Wir finden es aber wichtig, auch die Frage zu stellen »Was kommt nach Opel«. Wir sind weder Opel noch die Gewerkschaft, noch die Stadt. Das heißt nicht, dass wir die Menschen, die betroffen sind, aus der Debatte ausschließen wollen. Aber wir bleiben ein Kunstprojekt, wir wollen den Diskurs, auch die Kontroverse. Die müssen wir weiter treiben mit dem deutlichen Signal der Offenheit gegenüber allen. Aber auch mit dem Eingeständnis, dass die Kunstarbeiten nicht auf alles eine Antwort geben können und wollen.
ASSMANN: Es wäre ein fataler Fehler, wenn jetzt wieder jemand daher käme und sagen würde, er wisse, wie es weitergeht. Der wieder die nächste große Option serviert. Wir jedenfalls wollen den Eindruck nicht erwecken, dass wir eine heilsbringende Botschaft für die Stadt Bochum parat hätten. Aber wir haben unsere Perspektiven, und die können wir einbringen.
K.WEST: Weht also schon ein Gegenwind auf das Detroit-Projekt?
KRÖCK: Der Wind weht uns nicht entgegen, doch die Frage nach der Stellung der Kunst stellen viele Zuschauer sich und uns auch. Diese Zweifel wird das Projekt auch nicht überwinden können.
K.WEST: Der Weggang von Opel bedeutet nicht nur einen Verlust von Arbeit, sondern auch einen Gewinn von Gelände. Es wird eine Arbeit von Hofmann&Lindholm geben, »Ein Werk verschwindet«, die sich direkt mit dem Areal befasst. Warum nicht mehr?
KRÖCK: Aus ganz praktischen Gründen. Wir kommen nicht aufs Ge-lände. Auf den Flächen wird weiterhin gearbeitet und auch in Werk 1 werden noch bis Ende des Jahres Autos gebaut. Doch die Adam Opel AG, die anfangs zurückhaltend war, unterstützt uns mittlerweile ganz aktiv, wir haben eine Drehgenehmigung für den Film von Hoffmann&Lindholm auf dem Fabrikgelände. Und bei der »Opelation« spielt die Firma ja auch mit.
ASSMANN: Die Stadt Bochum und NRW.Urban haben schon längst einen Bebauungsplan und einen Workshop-Prozess für eine Neunutzung des Geländes angestoßen. Das wird jetzt im normalen klassischen Verfahren nach und nach der Bürgerschaft vorgestellt. Schön ist: Wir werden da jetzt eingebunden und können mit unseren Interventionen teilweise für neue Perspektiven sorgen. Ich glaube, man kann aus dem Areal mehr machen als bisher durch die klassische Raumplanung im Ruhrgebiet erreicht wurde.
REICH: Wir reden hier ja nicht über Zwischennutzung durch Kunst, sondern es geht um mehr. Denn auf diesem riesigen Areal wird ein neuer Stadtteil entworfen. Das ist die Chance, sich anhand einer einzigen Fläche die Frage zu stellen: Bochum, wie willst du in Zukunft leben, wie siehst du dich, wohin gehst du?
ASSMANN: Wobei es sich ja hierbei nicht nur um Bochum handelt, sondern ums ganze Ruhrgebiet. 2018 schließen die letzten Zechen, da werden noch mal riesige Gelände frei. Diese nächste große Dimension sollte schon bei der Diskussion um die Nachnutzung der Opel-Fläche mit bedacht werden.
»Detroit« ist ein Projekt von Schauspielhaus Bochum und Urbane Künste Ruhr, 26. April bis 5. Juli 2014. K.WEST ist Medienpartner. Am 10. April gibt es in den Kammerspielen eine öffentliche Diskussion über die Neunutzung der Opel-Flächen. www.thisisnotdetroit.de