TEXT: ANDREAS WILINK
Eingefasst von zwei Sonetten, wäre als Tonart zu erwarten gewesen: Shakespeare in Moll. Aber Antonio, ihr Sänger, kann sich gegen das allgemeine Dur nicht durchsetzen – gegenüber den jungen Leuten und Liebespaaren nicht, auch nicht gegenüber dem Regisseur. Belmont macht Bachmann mehr Spaß, als der Rialto Kummer. Die Frohnatur will kein Spielverderber sein. Darin kommt er dem traurigen Antonio nahe. Die Liebeskomödie, begleitet von einer Combo, übertönt das doppelte Außenseiter-Drama, und animiert mit Schlagergesang und klampfendem Geplärre zu der ehemals aus dem ZDF bekannten Frage: »Erkennen Sie die Melodie«.
Während sich also Antonio (Gerrit Jansen), der die Wange seines Bassanio tätschelt und ihn kurz vor seinem erwarteten Fleischestod heftig und nicht unerwidert küsst, melancholisch dahinlagert, umspielen ihn modische, in ihrer billigen Trivialität unangenehme Lackel. Auch Bassanio (Simon Kirsch) ist ein solcher Ragazzo. Erst recht der mampfende Lorenzo, die bübischen Zwillings-Laffen Solanio & Salerio, die als gelenkige Comedy-Clown umherzwitschern, und nicht minder der blöd grinsende Gratiano. Die Dame Porzia ist den Herren ebenbürtig: eine künstliche Plinker-Fee-Blondine im Tutu. Dass man ihr (Yvon Jansen) die juristische Finesse vor Gericht nicht zutraut, die sie dann glänzend als Garçonne absolviert, bietet die größte Überraschung des dreistündig sich dehnenden Abends.
Die Bühne im Kölner Depot 1 (Thomas Deißigacker) hat sich angehoben und bildet einen Laufsteg, seitlich flankiert von Kleiderstangen und der Staffage der gerade aus dem Spiel genommenen Figuren. Unter der Ebene auf Stelzen liegt die Subkultur als Bauch von Venedig, wo der derbe Witz rumort und als platter Scherz entfährt. In diese Bachmann’sche Humor-Unterwelt gehört die Entführung der in Wehrmachtsuniform (!) gekleideten Jessica durch jiddelnde Vermummte, mit denen Vater Shylock sich für ein Liedchen fraternisiert. Auf beide Etagen wiederum verteilt sich die Brautwerbung um Porzia und die Kästchenwahl als karnevalistische Nackt-Revue im Stil einer RAI-Fernsehshow. Wozu wiederum das Berlusconi-Foto passt, das die silberne Schatulle enthält. Parterre schließlich findet das Tribunal statt unter Vorsitz des Dogen, den Martin Reinke hinschnarrt, als würde er seine eigenen Manierismen karikieren.
»Der Kaufmann von Venedig« ist ein Stück über Geld und Glück. Über Recht und Gerechtigkeit. Ein Stück über Liebe und Hass. Und eines über Jude und Christ. Und über Freundschaft und verbotene Liebe – unter Männern. Stefan Bachmann lässt nichts davon aus, ohne es doch zu erfüllen. Nichts Ganzes. Nur Einfälle. Was tun mit Shylock? Was mit seinem Erzfeind Antonio? Bachmann mogelt sich durch. Auftritt Shylock in modisch aufgeputzter Kaftan-Tracht, in gemäßigt radebrechender Zunge und einer dezent dem Klischee entliehenen Körpersprache. Bruno Cathomas kann spielen. Fragt sich nur, was? Das sanfte Monstrum vielleicht. Später wetzt er splatterartig das Fleischermesser, bindet sich die Metzgerschürze um und gibt den Unhold. Zuvor noch hatten sich er und Antonio, der vom depressiven Intellektuellen ob seines vermuteten Geschäfts-Bankrotts zum jämmerlichen Säufer mutiert, geprügelt wie die Kesselflicker. Zwei grölende, kreischende, sich bespuckende Kerle, deren vergiftete Ideologie nur Ausdruck ihrer Charakterschweinerei wäre. Es gibt keine Solidarität der Außenseiter. Das wäre immerhin eine skeptische Regie-Haltung, zu der passen könnte, wie Porzias Gnadenappell, begleitet von evangelischem Orgelklang, verpufft. Selbst wenn es so wäre, Bachmann veralbert gleich wieder die ernsthafte Auseinandersetzung, so dass am Ende selbst noch Antonios Einsamkeit des Homosexuellen als Attitüde der Inszenierung erscheint.