TEXT: SASCHA WESTPHAL
»Ich« – das sagt sich so einfach. Doch je mehr Sosias, der nicht so verlässliche Diener des thebanischen Feldherrn Amphitryon, von seinem Double, dem Gott Merkur, bedrängt wird, desto zögerlicher spricht er das schmale, aber machtvolle Wort aus. Plötzlich hängt an dieser Versicherung der Identität ein Fragezeichen, das ihn überwältigt. So ergeht es nicht nur Sosias (Roland Riebeling), dem pragmatischen Filou, der sein Ego willentlich abgibt, solange ihm nur nichts geschieht. Auch sein Herr Amphitryon, der bei Marco Massafra allerdings von Anfang an etwas Unscharfes, Konturloses, hat, ist sich bald seiner selbst nicht mehr gewiss. Das doppelte Spiel des selbstsüchtigen Jupiter (Nicola Mastroberardino), der Amphitryons Gemahlin Alkmene (Therese Dörr) unvergesslich bleiben will, nimmt ihm letzte Gewissheit.
Die goldene Wand, die Sascha Gross für Lisa Nielebocks Inszenierung von Kleists erbarmungslosem Lustspiel gebaut hat, glänzt und glitzert verführerisch. Spiegel und Barriere zugleich. So oft sie auch um ihre eigene Achse gedreht wird, am Ende bleibt sie eine Mauer, an der Sicherheiten brechen. Nielebock nimmt Amphitryons Identitätsverwirrung und Jupiters Eitelkeit ganz leicht. Ihr Kampf um die treue und doch untreue Alkmene hat etwas Spielerisches, dessen existentielle Dimension nur selten durchscheint. Im clownesken Treiben Riebelings ist sie weitaus präsenter. Wie der sich durchschlägt und den Untiefen des Lebens mit Lachen begegnet, ist ein grandioses Schelmenstück, ein Akt des Widerstands, zu dem sein Herr nicht fähig ist.
Der jungen, extrem ehrgeizigen Unternehmensberaterin Moana (Sarah Grunert), ihrem Freund, dem frustrierten Flugbegleiter Boris (Matthias Eberle), und ihrer Mutter, der nach Wahrheit und Sinn suchenden Nachrichtensprecherin Christiane (Nicola Thomas), geht das Wort »Ich« erstaunlich leicht über die Lippen. Eigentlich sprechen sie in Laura Naumanns »Raus aus dem Swimmingpool, rein in mein Haifischbecken«, einer abgründigen Komödie aus der Arbeitswelt, nur über sich selbst. Aber je öfter sie Ich sagen, desto deutlicher wird, dass sie keine Identität besitzen und sich nur über ihre Arbeit definieren. Ansonsten ist ihr Leben eine Leerstelle, bis Nikita bei ihnen auftaucht. Wie Torsten Flassig als Nikita direkt aus dem gleißenden Licht zu kommen scheint, das magisch auf die Spielfläche fällt, wirkt das ganz und gar irreal. Dieser verwunschene Augenblick lässt Malte C. Lachmanns Uraufführung die zuvor detailliert in Szene gesetzte Banalität des Alltags hinter sich. Die Wirklichkeit fällt davon ab und weicht einer zeitgemäßen Variation auf Pasolinis verführerische politische Parabel »Teorema – Geometrie der Liebe«.