TEXT: SASCHA WESTPHAL
Dieser Teufel ist ein Geschäftsmann, der seine Waren inbrünstig anpreist und dann keine Ruhe mehr lässt. Bei seinem ersten Auftritt in Frank Behnkes zwischen schwarzer Romantik und skurrilem Humor pendelnder Inszenierung des »Black Rider« hat Stelzfuß (Aurel Bereuter) noch nichts Diabolisches, erinnert eher an den Conférencier aus John Kanders Musical »Cabaret«. Er lädt in eine menschliche Horror- und Freakshow ein: das Theater als Kabinett des Grotesken und Bizarren. In dem von Tom Waits, William S. Burroughs und Robert Wilson ersonnenen Musical heißt es, ein Teufelspakt sei immer auch ein Narrenpakt. Laffen sind alle hier, selbst wenn sich der arglose Buchhalter und Büromensch Wilhelm (Christoph Rinke) auf einen Deal mit dem Teufel einlässt. Aber er steht auch am meisten unter Druck, muss sein Geschick als Jäger beweisen, um die Hand Käthchens (Maike Jüttendonk) zu gewinnen. In Münster verwandelt sich der Counterculture-»Freischütz« in eine wilde Show. Im dunklen Wald, in dem Wilhelm dem Leuchten der Teufelskugeln verfällt, regieren Gier und Geilheit, Sucht und Stumpfsinn. Doch unter den grellen Farben der Inszenierung, die keine Übertreibung scheut, liegt etwas Kämpferisches. Das sechsköpfige Orchester (Leitung: Michael Barfuß) rückt Tom Waits’ Songs noch näher an Kurt Weills Kompositionen für die »Dreigroschenoper« heran. Die Sucht kommt vor der Moral.
Narren sind auch die biederen Bürger in Alan Ayckbourns aktueller Farce »Bürgerwehr«. Die Geschwister Hilda (Carola von Seckendorff) und Martin Massie (Mark Oliver Bögel) sind gerade in die schicke Bluebell-Hill-Siedlung gezogen. Schon beginnen die Probleme. Sie lassen sich von der grassierenden Angst der Nachbarn anstecken. In der Nähe gibt es eine Sozialsiedlung, die nur Hort des Bösen sein kann. Als dann auch noch Martins geliebter Gartenzwerg von Unbekannt zerstört wird, gibt’s kein Halten mehr. Für Thomas Ladwigs Inszenierung der deutschsprachigen Erstaufführung hat Bühnenbildner Stefan Brandtmayr ein bürgerliches Albtraum-Idyll mit greller Blumentapete und viel grüner Farbe geschaffen. Zunächst wirkt das Spießer-Haus erstaunlich offen und weitläufig. Doch während die Ereignisse ihren Gang nehmen und sich die vermeintlichen Stützen der Gesellschaft unkontrolliert in Wut- und Angstbürger verwandeln, schließen sich die Wände immer enger um sie. Aus dem Heim wird eine Festung, aus der pointierten Satire eine blutige Groteske.
Wie sich Kritik und Komik, Analyse und Lust am Spielerischen vermischen, ist typisch für das Schauspiel Münster unter Frank Behnke. Seit seinem Antritt als künstlerischer Leiter im Herbst 2012 greift das Haus brisante gesellschaftliche Diskussionen auf. Zudem setzt der Spielplan besonders auf die englische und amerikanische Dramatik. Davon zeugt auch ein von dem jungen Regisseur Frederik Tidén inszenierter Tennessee Williams-Abend: »I Can’t Imagine Tomorrow«, der drei kurze, von Liebesunglück erfüllte Miniaturen (»Grüne Augen«, »Ich kann mir ein Morgen nicht vorstellen«, »Sprich zu mir wie der Regen, und ich hör dir zu…«) zum Triptychon der Verzweiflung verbindet. Dennis Laubenthal und Lilly Gropper, die dreimal die Paare spielen und vor unseren Augen altern, meistern die Stimmungs- und Tonwechsel perfekt. Ihr Spiel, das von einem Zustand höchster Angespanntheit zeugt und kleinste Emotionen nach Außen trägt, bindet die Aufführung und betont Williams’ poetische Vision vom Leben und der Welt.