EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Die Tatsache, dass er vergangenen Juni den Nachwuchspreis der Minden-Lübbecker Kreishandwerkerschaft zugesprochen bekam, beflügelte den Espelkamper Künstler Josef-Peter »Joppe« Knorpeling so außerordentlich, dass er um Weihnachten herum beschloss, sich als Teilnehmer der Documenta 2017 ins Gespräch zu bringen. Momentan wartet er noch auf eine Antwort aus Kassel.
Auch einigen Initiatoren der Bewerbung der Zeche Zollverein als Welterbestätte ging nie aus dem Kopf, wie gut die Sache 2001 gelaufen war. Immer wieder saßen sie im »Casino« zusammen (Entenbrust oder Hirschrücken) und sagten sich, Mensch, lass uns das doch noch mal machen! Lass uns doch diesmal das ganze Ruhrgebiet erbemäßig bei der UNESCO anmelden, was meint ihr? Und sie stellten sich vor, wie von Düsseldorf aus gleich hinter der Ruhrtalbrücke der A52 oder hinterm Kreuz Unna am Dortmunder Stadtrand riesige Parkplätze die Besucher aus nah und fern (»Nah- und Fernost, genau!«) aus den Autos saugen würden und wie die Menschen dann, Zehntausende täglich, in weiten Filzpantoffeln (»roter Filz natürlich, woll!«) durch eine märchenhafte Ruhrgebietsdenkmallandschaft schlurften und glitten, vorbei an künstlich überwölkten Schloten, an täuschend echt aussehenden Stahlabstich-Licht-installationen (»könnte das nicht der Kuball?«), an malerisch verschmutzt auf Loren hockenden Kumpel-Darstellern (»die sollten aber auch riechen«) und akustisch eingenebelt vom »Steiger kommt«-Gesang der Knappenchöre.
Leider wurde der Antrag bisher nicht auf die sogenannte Tentativliste der Kultusministerkonferenz gesetzt, dem Vernehmen nach (»aber das ist unter drei, hören Sie!«) soll der Münchner Minister gebrüllt haben, wenn dieser Pott da Erbe wird, setz ich ganz Bayern auf die Liste, ganz Bayern, hört’s ihr? Und so wird bislang auf Zollverein bei Entenbrust und Hirschrücken weiter geträumt.
Nun gibt es ja aber neben dem baulichen und dem natürlichen auch noch das immaterielle Kulturerbe, zu dem die UNESCO Bräuche und Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten zählt. Auch auf diese Liste drängt es die Ehrgeizigen und Ehrsüchtigen. So liegen Anträge der Karnevalisten aus Bonn, Köln und Düsseldorf vor, das Zotenreißen und Schenkelschlagen unter internationale Erhaltungsbedürftigkeit zu stellen, auch die Schützen und die Bierbrauer halten das Kaputtballern und Zum-Kotzen-Bringen für Kulturerrungenschaften von außergewöhnlichem universellen Wert.
Die Liste der Ausdrucksformen, Gebräuche und Techniken, die in unserem Land tief verwurzelt sind und die Identität seiner Bewohner prägen, ist lang. Die Kölsche Selbstverzückung, die Sauer-ländische Art, bis drei zu zählen, das Große Bielefelder Leergefühl oder der Westfälische Humor – sie alle stellen sozialkulturelle Werte da, die höchste Beachtung und Obsorge beanspruchen dürfen.
Jährlich kann das Landesparlament jedoch nur zwei Vorschläge annehmen und an Regierung und KMK weiterreichen. Da müssen die Pappnasen und Ballermänner leider noch ein bisschen warten. Denn die zwei immateriellen Kulturgüter aus NRW, die dieses Jahr als Landes-Empfehlung zur UNESCO nach Paris gehen, sind andere: Erstens – auf Antrag der Kölner Emma-Redaktion – der uralte Brauch der verfolgenden Unschuld, jüngst eindrucksvoll von A. Schwarzer in seiner ganzer Reichhaltigkeit präsentiert und neu belebt. Zweitens – ein Vorschlag aus Duisburg – das bereits aus biblischen Zeiten stammende, doch nie in Vergessenheit geratene und immer wieder erneuerte Rechtsgut der Responsabilitätsdiversion. Zu Deutsch: der abschiebenden Verlagerung von Verantwortung. Hier ist die Richtung entscheidend: von oben nach unten. Dann garantiert dieses Prinzip die geschmeidige Amtsführung eines Oberbürgermeisters oder Geschäftsführung eines Veranstaltungsfirmenchefs. Ein Prinzip im Übrigen, für das die niederen Chargen – was zeigt, wie tief verankert diese Rechtsfigur ist – gern den Kopf hinhalten. Staatsanwälte wissen das.
Mit der Entscheidung des World Heritage Committee wird im Herbst gerechnet. Eine Annahme der beiden NRW-Vorschläge gilt als sicher.