TEXT: INGO JUKNAT
Ein Gedankenexperiment: Der Westen wird im 19. Jahrhundert nicht zur globalen Vormacht. Stattdessen gibt, sagen wir, China den Ton an. Wo hätten 100 Jahre später die Beatles gespielt? Auf einer VHS-Bühne in Peking? Beklatscht von einem Nischenpublikum, das sich für die exotischen Klänge einer kleinen europäischen Insel interessiert? In diesem Szenario fielen die Pilzköpfe wahrscheinlich in die Kategorie »Weltmusik«.
Der Begriff klingt wenig sexy. Dafür oft ein bisschen herablassend. »Weltmusik«, das sind Panflötenspieler in der Fußgängerzone, Sitar-Solisten im Kulturcafé. Das Publikum wiederum: aufgeschlossen, aber grau. Soweit das Klischee. Die gute Nachricht lautet: An dieser Vorstellung ändert sich gerade etwas.
Seit ein paar Jahren scheint die Weltmusik auszubrechen aus ihrer Nische. Plötzlich tauchen karibische, südamerikanische oder osteuropäische Sounds an jungen, hippen Orten auf. Die Gründe sind nicht schwer zu benennen. Die Gesellschaft wird bunter – und mit ihr die Musik. Die Kinder der Einwanderer verbinden die westliche (Pop-)Kultur mit der ihrer Eltern. Heraus kommt so etwas wie eine »deutsche Weltmusik«. Und dann ist da noch das Nachtleben. International bekannte DJs experimentieren immer häufiger mit »Ethno-Sounds« und sorgen für ganz neue Stile auf der Tanzfläche.
Der Trend war 2013 auch außerhalb der Clubs sichtbar. Auf dem Open Source Festival in Düsseldorf, zum Beispiel. Dort wurden Mala in Cuba gefeiert, eine Band, die die sonnige Musik der Karibik mit den düster-hektischen Beats des Dubstep kreuzt. Bei der c/o pop in Köln wiederum stellte Star-DJ Matias Aguayo im ausverkauften Stadtgarten seine neuesten Stücke vor. Sie klingen mehr nach seiner chilenischen Heimat als nach House oder Techno. Aguayo und Mala in Cuba sind nur zwei Beispiele dafür, wie »Ethno«-Einflüsse die Tanzmusik erneuern. Der positive Nebeneffekt: Plötzlich interessieren sich auch junge Menschen für die Ursprünge dieser selten gehörten Klänge. Weltmusik, lange Zeit die Domäne mittelalterlicher Hörer aus »aufgeschlossenen Milieus«, erobert sich ein neues Publikum.
Das bestätigt auch Achim Spyra. Er organisiert die Weltmusikreihe »Global Weekdays«. Sie findet einmal in der Woche im KIT, am Düsseldorfer Rheinufer, statt. Spyra ist ein Veteran der Szene. Als langjähriges Mitglied im Verein »Globalklang« hat er schon so ziemlich alles vom Klezmer-Quartett bis zum mongolischen Obertonsänger auf die Bühne gebracht. Geld hat er damit selten verdient. Auch die neue Reihe muss sich erst etablieren. Immerhin: Die Chancen stehen gut. »Es hat sich auf jeden Fall etwas getan im Bereich der Weltmusik«, stellt Spyra fest. Die These von der Clubmusik als »Einstiegsdroge« würde er unterschreiben.
In Düsseldorf kann man das auch an der »Global Players«-Reihe nachvollziehen, einer Weltmusikparty mit Beats, wenn man so will. Sie findet ebenfalls im KIT statt. Ihren Erfolg verdankt sie unter anderem der Beteiligung des Funkhaus Europa. Der Radiosender stellt nicht nur einen der DJs, sondern trommelt auch kräftig für die Party. Nebenbei bewirbt er so manches Weltmusik-Konzert, das Spyra in Düsseldorf veranstaltet.
Bei aller Aufbruchstimmung – eine Goldgrube ist das Geschäft mit Sitar & Co. noch nicht. Der Imagewandel braucht seine Zeit. Ohne entsprechendes Netzwerk bzw. Promotion tun sich nicht-westliche Bands immer noch schwer. Für die Veranstalter bergen die unbekannten Sounds ein hohes finanzielles Risiko. Sind die Ticketprognosen von »normalen« Pop-Konzerten schon unwägbar genug, werden sie bei »Ethno-Acts« erst echt zum Glücksspiel.
Um das Risiko für alle Beteiligten zu mindern, startete das NRW Kultursekretariat vor zehn Jahren die ersten Förderprogramme. Den Ausdruck »Weltmusik« hört Direktor Christian Esch eigentlich nicht so gerne. Er bevorzugt »Musiken der Welt«. Die dazugehörigen Künstler seien schließlich schon lange ansässig in NRW. Vom Kultursekretariat werden sie systematisch gefördert. Das Programm, das alle Förderstränge vereint, heißt »Das 3. Ohr«. Darunter fallen Zuschüsse für Künstlergagen, internationale Austauschprojekte, Tagungen und Diskussionsrunden sowie Musikschulprojekte. 45.000 Euro stehen dafür in der Saison 2014/15 zur Verfügung.
Die Konzertförderung fällt ihrerseits in zwei Kategorien. Das Programm »Musikkulturen« unterstützt Weltmusikkünstler, die in NRW beheimatet sind. Der gerade veröffentlichte Bandkatalog spiegelt die ganze Vielfalt des Einwandererlandes Nordrhein-Westfalen. Er umfasst türkische Kammerorchester, Klezmer-Trios, Gypsy- und Balkanmusik, finno-ugrische Folklore und eine Menge Bands, die gleich ein halbes Dutzend Traditionen in den Mix werfen – schon deshalb, weil die Bandmitglieder aus einem halben Dutzend Ländern kommen.
Die vielbeschworene Integration – in den Weltmusik-Ensembles ist sie oftmals Wirklichkeit. Dabei ist Integration nicht mal das Ziel. »Was wir brauchen, ist Differenz«, sagt Esch. »Und den Dialog durch die Differenz. ›Integration‹ ist für mich ein Begriff, bei dem die Assimilation mitschwingt.« Musikalisch seien jene Projekte am interessantesten, bei denen die einzelnen Elemente nicht miteinander verschmölzen, sondern distinktiv wahrnehmbar, sein.
Ein gutes Beispiel aus dem aktuellen Förderprogramm ist die Formation Cyminology. Das Quartett besteht aus einer deutsch-iranischen Sängerin, einem deutsch-französischen Pianisten, einem indischen Drummer sowie einem deutschen Kontrabassisten. Zusammen spielen sie eine Art Multikulti-Kammerjazz, der sich in den Texten unter anderem auf die persische Poesie des Mittelalters beruft. 2012 gewann die Band den bundesweiten Weltmusikpreis »Creole«.
In eine andere Richtung geht die Band Kapelsky & Marina aus dem Ruhrgebiet. Das Quartett nennt seinen Sound »Ostperanto-Folkjazz«. Die Musik ist repräsentativ für den Crossover-Ansatz vieler neuerer Weltmusik-Formationen. Da wird im Zweifelsfalle auch mal Miles Davis durch den Ethno-Filter gejagt. Oder »Fuchs, du hast die Gans gestohlen« bekommt einen Balkan-Anstrich. Humor ist Kapelsky & Marina nicht fremd, wie man an diesen Beispielen merkt. Wie das Ganze live klingt, kann man übrigens am 8. März in den Bochumer Kammerspielen überprüfen. An dem Tag feiert die Band die Veröffentlichung ihrer neuen Platte.
Das zweite Förderprogramm des NRW Kultursekretariats trägt den Namen »Klanglandschaften«. Hier geht es um die Auftritte internationaler Künstler. Einen Schwerpunkt bilden szenische Konzerte. Das Theater an der Ruhr in Mülheim hat sich in dieser Sparte zu einer Art Zentrum entwickelt. Dramaturg Rolf C. Hemke gilt als ausgewiesener Fachmann, jüngst hat er ein Buch zum Theater im arabischen Sprachraum herausgegeben (s. Kasten). Ein Teil der »Klanglandschaften« wird vom WDR aufgezeichnet. Die langjährige Pionierarbeit hat sich ausgezahlt. Das Mülheimer Publikum wundert sich inzwischen nicht mehr, wenn Schillers »Räuber« von kamerunischen Ensembles auf die politische Situation in ihrer Heimat übertragen wird. Im Gegenteil, sagt Hemke, »da sitzt dann ein Opernpublikum, das gut mitgeht.
www.nrw-kultur.de/programme/programme/das-3-ohr + www.wdr3.de/musik/musikkulturenbeiwdr3/videosklanglandschaften100.html