Sie ist der Fremdkörper, sich selbst und den anderen, den Zuschauern im Theater und den Menschen im Leben draußen. Das empfindet Jana Schulz, so dass der Ausnahmezustand bei ihr vermutlich als Normalzustand zu gelten hat. Was daran produktiv ist und was destruktiv, lässt sich nicht leicht auseinander dividieren.
Die Regisseurin Karin Henkel, neben Roger Vontobel ihr wichtigstes künstlerisches Gegenüber, setzt Jana Schulz in Vergleich zu David Bowie. Gar nicht verkehrt. Mit gleichem Recht könnte man Tilda Swinton und Annie Lennox nennen. Was verbindet den Pop-Hero mit den beiden Anti-Diven, die alle drei vom Himmel gefallen zu sein scheinen? Das Schillernde, Grenzgängerische, Vexatorische, Uneindeutige. Orlando in jeder Gestalt.
Jana Schulz kommt von der Probebühne im Bochumer Schauspielhaus. Schmal, scheu, schlaksig, groß, im blauen Hosenanzug, ungeschminkt, dünnhäutig, das rötlich-blonde Haar kurz geschnitten. Sie wird 37 Jahre alt und sieht aus wie 25. Nein, nicht androgyn – das klingt zu ätherisch, lieblich und zartbesaitet. Bei ihr ist es eher ein Kampfbegriff. Alles liegt unter hellem Licht offen zu Tage, ist aber unergründlich. Viola & Sebastian, die Zwillinge in Shakespeares Komödie, sind bei ihr eine Person. Traumbesetzung. Kein Trick von Maske und Kostüm. Zumal sie sich an Shakespeare (»der wächst immer«) abarbeitet, beginnend damit, dass man bei ihm zunächst »den Text in den Mund kriegen muss«. Kauen. Schmecken. Verdauen.
Sie hat den Major von Tellheim und den Blutkönig Macbeth gespielt (beides für Karin Henkel). Männer, kaputt und wahnhaft: der verletzliche, ehrstolze Preußen-Offizier und der von seiner Lady zur Tat getriebene, zaudernde, neurasthenisch angstbesetzte Killer aus Schottland. Und dazu Frauen wie Kleists Penthesilea und Käthchen, Desdemona und jüngst in Bochum Hebbels schlimme Kriemhild. Figuren »eines inneren Gespalten-Seins«, wie sie sagt.
Als Burgundin Kriemhild schlägt sie emotional schmerzend auf; die Übrigen wenden sich ab mit Grausen. Der Fluch ist gleich zu Anfang gesprochen, die Schicksalslinie gezogen: der gemordete Siegfried, der geraubte Hort, der Verrat der Brüder an der zur Witwe gemachten Schwester. Sie ist in der Asche und wäscht sich mit Siegfrieds Staub. Zugleich Breker-Boy, Trotzkopf und Tankgirl, spielt sie furios die Partie der Racheflamme. Wieder Fremdkörper in einer geordneten, bald in die Katastrophe des Weltenbrandes mündenden Welt.
Und noch eine Kriegerin, endend mit einem Knalleffekt – dem Zünden der Bombe des (Selbstmord)-Attentäters. Roger Vontobel schließt Lessings Prinz Philotas kurz mit dem modernen Terroristen: dem in Afghanistan 2001 von der US-Army gefangen genommenen Amerikaner John Walker Lindh. Geboren 1981, konvertiert der zum Islam, geht in den Jemen, nach Pakistan und zu den Taliban, deren Namen Jana Schulz in »Fi’lo:tas« nur stammelnd mit den ersten Buchstaben ausspricht. Das Politische bleibt vage, um Lessings Antikriegsstück (gerichtet gegen Preußens Eroberungspolitik) zu überblenden mit dem aggressiven Westen in seinem Liberalismus, mit Islamismus und der Verführungskraft auf einen fehlgeleiteten Idealisten, Fundamentalisten, Märtyrer, der sich für die Ehre, sein Wahl-Vaterland und ein Höheres verzehrt. Sein Begehr, Held zu sein und »unkaputtbar« wie Superman – »ein Mensch, der zu sterben weiß«, wie Jana Schulz das Original Lessings repetiert – ist weniger Analyse als Impuls gesteuert. Jana Schulz hatte das Solo mit ihrem Regisseur vor einem Dutzend Jahren entwickelt und nimmt es nun in Bochum wieder auf. Ein neurotisches, traumatisiertes, total irres, sanft brutales, wild entschlossenes, von der Erinnerung an Bomben und Leichengestank getriebenes Kriegs-Kind in dunkler Kaftan-Kutte, sozialisiert von MTV und CNN, das sich bewegt in einem Geviert aus Sand, in Trance Figuren malt und sich bestäubt, so dass sich ihre Kleidung sprenkelt zur Tarnuniform. Entwaffnend.
Peter Pan könnte sie spielen (aber doch auch Hook, eine etwas andere Elfe Tinker Bell, vielleicht sogar Wendy). »Ich bewege mich viel natürlicher als Mann«, sagt Jana Schulz. Wenn ich eine Frau spiele, fühlt es sich künstlich an; da habe ich Widerstände.« So ging es ihr in Vontobels Bochumer Rosenkrieg um »Richard III.« – mit ihr als Königin Margaret. Sie saß in der Garderobe vor dem Spiegel, wurde geschminkt und dachte: »Es ist ein Schönheits-Schein. Es hat mir gefallen und gleichzeitig habe ich dieses Gefallen verurteilt.«
»Das Gefühl, nicht zu passen, das Gefühl, in mir gefangen zu sein«, treibt sie an und um. Dass da ein »Fehler« ist. Ihr Bestreben wäre, sagt sie, »den Körper anzugleichen«. Ohne das Geschlecht zu wechseln. Der Wunsch, nicht nach Klischee beurteilt zu werden. Nicht Mann werden zu müssen, aber die Vorstellung von Frau-Sein anders zu gestalten. Eine heroische, geradezu mythische Aufgabe. Geboren aus und verbunden mit »Zwiespalt und Unsicherheit«.
Jana Schulz ist streng mit sich. Unerbittlich. Auf der Bühne reißt einen das hin. Die Vokabeln ähneln sich, mit denen man sie – in Hamburg, München, Bochum – belegt: unbedingt, schonungslos, absolut, wahrhaftig. Romy Schneiders schmerzlichem Diktum: »Ich kann alles auf der Leinwand und nichts im Leben«, stimmt Jana Schulz zu. Erfolg könne sie schlecht annehmen, »auch aus Angst, eitel zu werden«. Indes, das schönste Kompliment sei für sie, dass die Menschen berührt würden, »ohne dass ich darauf ziele«. Das ist nur zu erreichen, wenn sie zuvor selbst eine Berührte ist in ihrer Unbedingtheit als Künstlerin. Kontrollierter Kontroll-Verlust.
Das Theater hat sie gerettet. »Spielen hilft. Dinge durchzuspielen, auch in der Reflexion, die durch die Zuschauer erfolgt. Die Bühne als Raum ist geschützt. In ihm hat alles seine Zeit. Unter diesem Schutz kann ich total über Grenzen gehen.«. Die Realität kennt Regeln nicht. Eine Beziehung folgt keinem Muster. »Zur Bereitschaft für das Du braucht es lange.« Jana Schulz neigt zu »Distanz«, braucht ihren »Rückzugsort« – verreist auch nicht gern, zumal sie sich immer mitnehmen würde.
»Die Differenz« sei ihr früh bewusst gewesen, dass »der Körper anders beschaffen« sei, sie sich nicht wohl fühle in den Standard-Requisiten des Weiblich-Seins, Kleidchen, Pumps. Man kann ahnen, was die Ich-Krise bedeutete für das Mädchen aus Bielefeld, Tochter einer Ärztin und des Vaters von Beruf Tischler und Heilpädagoge. Und dann gab es noch einen Meister, bei dem sie asiatisches Kampftraining lernt –die koreanische Methode aus Tae (Fuß), Kwon (Faust), Do (Geist): Tae-kwon-do. Aber das ist vorbei. Auch weil sie vom engen Kontakt zu dem Lehrer anderes erwartete als bloß professionelle Zuwendung und körperliche Ertüchtigung.
Härtetest Sport. Auf verquere Weise sei es für sie wichtig gewesen, sich abzuhärten und den Körper zu verausgaben. »Sich zu wappnen«, fast zwanghaft: »So funktioniere ich leider. Meine Seele hat sich ein Ventil gesucht.« Aber die Psyche blieb auf der Strecke. Weiß sie jetzt. Und erreicht für sich hoffentlich das, was sie als Schauspielerin faszinierend macht: »fluide Stabilität«, wie Horst Bredekamp in anderem Zusammenhang schreibt.
Was nützt es, dass Jana Schulz jemand sein könnte, erfunden von Pedro Almodóvar: individueller Prototyp für das dritte Geschlecht. Crossover wäre ein zu modischer Begriff, ein schales Wort. Das Ideal des Spaniers ist »Konvergenz der Geschlechter«, Synthese und Harmonisierung, das Zusammenlaufen verschiedener, unabhängiger Strömungen und Erscheinungsformen. So wird jemand zum Doppelagent seines eigenen Lebens – oder Spielens. Es kann ein Befreiungsschlag sein, nicht der gesetzmäßigen Rolle als Mann oder Frau zu gehorchen. Könnte ein Identitäts-Vor-Sprung sein. Positiv anstößig. Judith Butlers Gender-Theorie käme zur praktischen Anwendung. Darum geht es Jana Schulz: »etwas zu finden, was dazwischen ist«. Aber das bedeutet ständige Herausforderung, Selbstbehauptung, Kraft zum Konflikt. Die Gesellschaft bevorzugt feste Umrisse.
Ins Offene gehen – ein Trip, ein Glück, ein Kampf um Identität. Rilkes poetisches Ideal für die »Kreatur« kann dem Menschen eine Last sein. Und sich gegen ihn selbst richten. Zum »Selbsthass« werden. Das schlimme Wort fällt. Zunächst bezogen auf die nächste Rolle – Jana Schulz wird Ibsens »Hedda Gabler« sein. Auf den ersten Blick ungewöhnlich für sie: die begehrte Generalstochter, gelangweilt, ohne Zweck und Ziel.
Weshalb hat Hedda diese Zerstörungs-Energie? Aus Selbsthass. »Sie schneidet sich ab von Gefühlen. Was sie abschneidet, ist das ihr selbst Fremde, Unbekannte, Unheimliche. Sie entwertet die anderen, lässt sie leiden und spielt mit ihnen.« Bis ihr das Spiel entgleitet, sie selbst zum Spielball zu werden droht und sie nur noch die Routine stört. »Ihre Bedeutung ist für sie wichtig«, sagt Jana Schulz. Am Ende hat sie die verloren. Und kann sie nur noch im Tod zurückgewinnen.
Die berühmte Bochumer »Hedda Gabler« von Peter Zadek aus dem Jahr 1977 war klar und knapp wie ein britisches Konversationsstück. Sie habe, erzählte die Titelheldin Rosel Zech, dafür Patricia Highsmith gelesen. Und sollte sich Polanskis Filme anschauen, wünschte sich ihr Regisseur. Eine Hedda Gabler in der Schwebe von Hochmut, Machtgier, Unsicherheit und Schwäche, die hysterische und verkrampfte Züge hatte, sich schlecht benahm. Am Ende war sie das Opfer. Höchst delikat trieb eine wohlerzogene Person böse Spiele.
»Subtil verdeckt« sei bei Ibsen das Emotionale, sagt Jana Schulz. Psychologisch vertrackt. Das macht es schwer. »Die Strategin« Hedda »spinnt Fäden, zieht Menschen in die Schwärze – für sie eine ehrliche Lust«. Das Stück sei tatsächlich geschrieben wie ein »Thriller-Text«, findet Jana Schulz. Es fordere Aufmerksamkeit, an wen welcher Satz gerichtet ist, wie Blickachsen verlaufen, wie sich Machtverhältnisse abbilden. Bei Roger Vontobel wird Jana Schulz die Hedda im leeren Raum spielen. Den wird sie füllen – mit ihrem Befremden. Fremd in der bürgerlichen Welt. Fremd sich selbst. Schöne Fremde.
»Hedda Gabler«, Premiere: 14. März 2014, Schauspielhaus Bochum; »Fi’lo:tas«: 26. März, Kammerspiele. www.schauspielhausbochum.de