TEXT: ANDREJ KLAHN
Das Verlagssignet verpflichtet: Die Konzentration des Mannes, der sich über sein Buch beugt, zwingt den Körper in die Krümmung. Als wollte der Leser sich mit dem Rücken gegen die Außenwelt abschirmen. »Er sucht deutlich Lösungen dringender Probleme im Buch. Goebbels hätte ihn wohl eine ›Intelligenzbestie‹ genannt.« So hat Bertolt Brecht Ernst Barlachs 1936 gefertigte Skulptur »Der Buchleser« rückblickend gedeutet. Ein Barlach-Buch mit Entwürfen dazu war folgerichtig im Nationalsozialismus verboten worden. Der Schattenriss von Barlachs Bronzefigur ziert die Bücher aus dem Arco Verlag. »Mir hat diese Betonung des Buches als Widerstandsgeste und Akt der Behauptung von Kunst und Literatur sehr gut gefallen«, erinnert sich Christoph Haacker. Als der studierte Germanist und Slawist 2002 daran ging, in Wuppertal den Arco Verlag zu gründen, wollte er der Exilliteratur aus der Zeit nach 1933 einen gewichtigen Platz einräumen. Doch begonnen hatte es nicht mit dem vagen, Germanisten in der Prüfungsphase beseelenden Wunsch, einen Verlag aus der Taufe zu heben, dessen Programm noch zu entwickeln wäre. Haacker hatte konkrete Wiederauflagen im Sinn und seinen ersten lebenden Autor mit Fritz Beer schon gefunden. Jetzt musste der Verlag her, um dessen Bücher herausbringen zu können.
Bereits 1993 war der damals 21-jährige Haacker dem 1911 im mährischen Brünn geborenen Journalisten und Schriftsteller begegnet; auf einer von der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wuppertal ausgerichteten Ehrung des 1933 vom späteren Arco-Autor Max Herrmann-Neiße mitbegründeten PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland. Beer führte damals den Vorsitz. Später sollte Haacker sich dann näher bekannt machen mit Fritz Beer: durch die Lektüre von dessen Büchern. Ihn habe die selbstkritische Offenheit Beers fasziniert, der Umgang mit den biografischen Brüchen, erinnert sich Haacker.
Beer war 1928 der Kommunistischen Partei beigetreten, war 1939 vor den deutschen Besatzern nach Großbritannien geflohen und hatte nach dem Hitler-Stalin-Pakt endgültig mit dem Kommunismus gebrochen. »Kaddisch für meinen Vater«, ein Buch mit unveröffentlichten Essays, Erzählungen und Erinnerungen, sollte dann neben Walter Seidls Roman »Der Berg der Liebenden« von 1936 zu den ersten Arco-Büchern gehören.
Das Programm des Verlags war zunächst vor allem von verfolgten und exilierten Autoren geprägt. Denn Haacker war sich bewusst, dass nicht mehr viel Zeit blieb, um mit der hochbetagten Generation der literarischen Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen. So erschien 2007 bei Arco mit »el do Ra Da(da)« etwa ein Querschnitt aus dem Werk Ludvík Kunderas. Der 1920 ebenfalls in Brünn geborene Kundera, der in den 1940er Jahren Zwangsarbeiter im bombardierten Berlin-Spandau war, zählt zu den bedeutendsten Autoren seiner Generation; was die tschechoslowakischen Machthaber nicht hinderte, ihn 1970 mit einem Publikationsverbot zu belegen. Kundera starb drei Jahre nach dem Erscheinen seines Buchs bei Arco. Auch ein Roman sowie ein Band Gedichte und Prosa des 1938 in die USA emigrierten Georg Kreisler kamen hier noch zu dessen Lebzeiten heraus. »Es ist ein Privileg, mit solchen Menschen zusammenarbeiten zu dürfen, und es ist eine Verpflichtung«, sagt Haacker. »Es hat mich sehr bewegt, dass Ludvík Kundera im hohen Alter und nach 17 Jahren Schreibverbot in der Tschechoslowakei zum ersten Mal eine angemessene Auswahl seines dichterischen Schaffens in einem deutschen Verlag erleben konnte. Ich durfte miterleben, was es für ihn bedeutet hat.«
Bis heute widmet sich der Arco Verlag den literarischen Landschaften Mitteleuropas. Denn nicht nur das Verlagssignet, auch der Name verpflichtet. Das Prager Kaffeehaus Arco war Anfang des vorigen Jahrhunderts auf dem oft schwierigen Terrain deutsch-tschechisch-jüdischer Beziehungen ein Treffpunkt, der sich über nationale Grenzen hinwegsetzte und Gäste wie Franz Kafka, Franz Werfel und Max Brod anzog. Mit der »Bibliothek der Böhmischen Länder« hält der Arco Verlag das Mit- oder Nebeneinander der Sprachen und Ethnien in der kulturellen Grenzregion gegenwärtig. Seite an Seite finden sich deutschsprachige neben tschechischen Autoren, flankiert von einem wissenschaftlichen Programm, das sich beispielsweise in zwei Monografien der Elberfelder Dichterin Else Lasker-Schüler widmet. Kinder- und Jugendbücher wie der zweimal verfilmte böhmische Fußball-Roman »Klapperzahns Wunderelf« (1922) von Eduard Bass oder ein Exilroman von Erika Mann erscheinen unter dem Label »Arco Orca«; und die Reihe »Coll’Arco« versammelt kürzere Texte in markanter Gestaltung.
Im letzten Herbst waren das Prosa und Gedichte Paul Zechs, in denen der Else Lasker-Schüler-Weggefährte, Lyriker und Lebenslauferfinder mit der Stadt an der Wupper abrechnet, die er »um eine Linsensuppe« verlassen hat. Verbittert und doch voller Anhänglichkeit ist Zechs bildmächtige Liebeserklärung an Wuppertal, das bis 1929 noch als Elberfeld und Barmen firmierte. »Es gibt auf der Welt keinen Fleck, wo der Boden so fruchtbar ist an eigenwilligen Kreaturen, aber nur den Kaufmann lässt die graue Luft hoch.« So schreibt Zech der verlassenen Stadt hinterher.
Auch Christoph Haacker hat mehr als 30 Jahre in Wuppertal verbracht, bis er 2009 nach Wien umzog, wo der Arco Verlag seitdem eine Dependance unterhält. »Anfang des 20. Jahrhunderts gehörten Elberfeld und Barmen, das Wuppertal Paul Zechs, zu den reichsten Städten Deutschlands. Es schadet nicht, sich diesen historischen Rang und die ungeheure Modernität ins Gedächtnis zu rufen in einer Zeit, in der die Stadt es zugelassen hat, dass sie zu sehr mit einem Negativ-Image behaftet ist«, sagt Haacker, der Wuppertal noch immer seine Heimat nennt. Und überhaupt geht es dem Verleger, der seine Autoren auch schon mal ironisch den »Club der toten Dichter« oder Arco einmal »den jungen Verlag der alten Männer« nannte, nicht um gegenwartsvergessenes Bewahren. Bücher, die im Arco Verlag erscheinen, sollen – ganz im Gegenteil – zum Verständnis unserer Zeit beitragen, indem sie nicht zuletzt nach den Wurzeln heutigen Selbstverständnisses fragen.
Ulrich Becher: »Kurz nach 4.« Roman. Arco Verlag, Wuppertal 2011, 200 Seiten, 20 Euro
Bisher in der Reihe »Unabhängige Verlage in NRW« erschienen: Weidle Verlag (Mai 2013), Lilienfeld Verlag (Juni 2013), CH.SCHRŒR (September 2013)