TEXT: ANDREAS WILINK
Der Soundtrack verdient jedenfalls schon mal einen Oscar (mindestens so sehr wie die Ausstattung, die Darsteller und das Drehbuch). Wir werden eingeschäumt und aufgequirlt von Tom Jones, Donna Summer, der Wings-007-Hymne »Live and let die«, Philadelphia Soul, den Bee Gees und vielem mehr, was die Siebziger hervorbrachten. Unter anderem auch Burt Reynolds als Pin-up-Ikone, Frauen, die Chinchilla und sehr viel eigenes Haar trugen, Männer mit Seidenhalstuch unterm Samtsakko, mit hohen Absätzen und, wenn nötig, mit tropfenförmigen getönten Brillen.
Genial ist schon der Anfang von David O. Russells Film: Irving Rosenfeld, der Trickbetrüger, macht sich zurecht, um Carmine Polito (Jeremy Renner), Bürgermeister aus New Jersey, im Plaza Hotel von Manhattan zu treffen und ihn mit einem Koffer voll Dollars zu bestechen. Auf die kahle Stelle seiner hinteren Stirn klebt er ein filziges Haarteil, kämmt seine zuvor seitlich hoch toupierten Strähnen über die Attrappe und festigt die Frisur mit Spray. Rosenfeld (schmerbäuchig verfettet gespielt von Ex-»American-Psycho-Bateman« Christian Bale) und seine Komplizin, die falsche englische Lady Edith Greenly alias Sydney Prosser aus New Mexico (Amy Adams), wurden bei gemeinsamen Gaunereien mit geschönten Wertpapieren und getürkten Gemälden vom FBI-Agenten Richie DiMaso (Bradley Cooper) erwischt. Er zwingt sie, mit ihm zusammen die politische Klasse der Korruption und des Amtsmissbrauchs zu überführen. Dass sie dabei die Mandatsträger geradezu nötigen (to hustle = drängen), Schmiergelder anzunehmen und sich auf illegale Transaktionen zum Wohl von Staat und Bürgern einzulassen, ist die Moral von der Geschicht’ während der Präsidentschaft des guten Jimmy Carter. Geködert wird mit dem angeblichen Wiederaufbau von Atlantic City, der Stadt des Glücksspiels, mit Hilfe der Millionen eines Scheichs.
»American Hustle« ist eine Mischung aus »Der Clou« und Sergio-Leone-Drama, Komödie und Thriller, Satire und Epochen-Chronik. Extrem lustig, unterhaltsam, smart und sehr amerikanisch. Die späten siebziger Jahre: Der Watergate-Skandal ist ein paar Jahre vorbei, die USA wären gern wieder sauber. Wohin das führt, konnte man etwa bei Arthur Miller sehen, wenn in dessen Stück »Hexenjagd«, das wiederum als Parabel auf die McCarthy-Kommunisten-Jagd zu lesen war, die Puritaner fanatisch Anstand und Sitte exekutieren.
Zum amerikanischen Traum und seiner Hybris (die hier der enthemmte, von seiner Cleverness kopflos werdende Detective verkörpert) gehört die Fantasie, »different« zu sein, ein anderer zu werden und zugleich man selbst sein zu wollen. Kollektiver Individualismus – ein irrer Zustand. Ob DiMaso, der daheim unterm Pantoffel seiner italienischen Mama steht, sein glattes Haar mit Lockenwicklern kraus erscheinen lässt; ob Rosenfeld sein Toupet aufsetzt; ob Edith/Sydney ihre falsche Identität kultiviert; Ehemann Rosenfeld seine Doppelmoral praktiziert, wenn er sich nicht von seiner neurotischen Frau Rosalyn (Jennifer Lawrence) trennt, aber Edith/Sydney liebt, die wiederum DiMaso heiß macht. Auch die Mafia erliegt der Selbsttäuschung, die von Florida und ihrem Boss Mayer Lansky aus ins Spiel kommt und Robert De Niro einen wunderbaren Gastauftritt erlaubt. Das Syndikat glaubt allen Ernstes, das wahre Amerika gegen Juden, Schwarze und Araber verteidigen zu müssen. Gerechtigkeit verwirbelt allenthalben zu Selbstgerechtigkeit.
Die Lügen leben länger. Und alle flirten mit dem Desaster, um es mit einem früheren Filmtitel von David O. Russell zu sagen.
»American Hustle«; Regie: David O. Russell; Darsteller: Christian Bale, Bradley Cooper, Amy Adams, Jennifer Lawrence, Jeremy Renner, Robert De Niro; USA 2013, 138 Min.; Start: 13. Februar 2014.