TEXT: SASCHA WESTPHAL
Lautes Gelächter erfüllt die Probebühne 1 des Theaters Oberhausen. Der erste Gedanke beim Eintreten: Es muss gerade eine kleine Probenpause sein. Schließlich passt dieses freie, fast schon selbstvergessene Lachen überhaupt nicht zu den Erwartungen gegenüber einer antiken Tragödie. Doch der Eindruck täuscht. Der australische Theatermacher Simon Stone und die Oberhausener Schauspieler stecken mittendrin in der Arbeit an seiner Überschreibung der »Orestie«.
Moritz Peschke, Sergej Lubic und Jürgen Sarkiss proben gerade eine Szene, in der sich Orest zusammen mit seinem Freund Pylades auf den Mord an seiner Mutter Klytaimnestra und deren Geliebten Aigisthos vorbereitet. Nur treibt Jürgen Sarkiss die beiden mit seinen endlosen Ausführungen zu den Übeln der modernen Kommunikationstechnologien und dem Fluch des ständigen Erreichbarseins zur Weißglut. Die Situation entgleitet, ein Schuss fällt.
Ein ebenso manischer wie pointierter Monolog über Mobiltelefone, ein Moment absurder Gewalt und das immer wieder aufbrandende ansteckende Lachen Simon Stones. Diese »Orestie« beschreitet einen anderen, uner-warteten Weg. Der große Mythos, die von Blut getränkte Geschichte der Atriden, ist noch allgegenwärtig. Die Situationen und ihre Protagonisten erkennt man sofort wieder. Doch ihre Sprache und ihre Welt sind die unseren.
Das ist es, was den 1984 in Basel geborenen Simon Stone reizt: »Die Spannung zwischen einer der ältesten Geschichten, die jemals auf die Bühne gebracht wurden, und einer Sprache, die ganz heutig ist.« So entsteht eine Verbindung, die Jahrtausende überwölbt. Das Banale und Alltägliche, also Gespräche über Heutiges und Gewöhnliches, verleiht den Figuren etwas Reales. Moritz Peschkes ungeduldiger Orest und Torsten Bauers von Selbstzweifeln und Schuldgefühlen geplagter Agamemnon sind unsere Zeitgenossen, und doch stecken sie in einer griechischen Tragödie fest.
Die Gegenwart ist für Simon Stone nichts als die ewige Wiederkehr des Immergleichen. Doch wie leicht ist es zu vergessen, dass »unter der Welt, die ganz neu wirkt und aussieht, eine alte Welt liegt, in der wir schon immer gelebt haben.« Diesem Vergessen stellt sich Stone entgegen. Im Gespräch springt der 29-Jährige wie selbstverständlich von Aischylos zu Montaigne, von Shakespeare zu Handke, von Goethe zu Platon. All diese Autoren sind uns in seiner Sicht nicht unerreichbar fern. Sondern Künstler, die sich in ihrer Zeit mit eben jenen »dunklen, tief vergrabenen Aspekten der menschlichen Psyche beschäftigt haben«, die uns immer noch umtreiben.
Insofern ist es zwingend, dass Stone die alten Stoffe und Stücke nicht ein-fach nur bearbeitet, sondern gleich noch einmal neuschreibt. So hat er in Australien bereits Senecas »Thyestes« und Ibsens »Wildente« für die Welt des 21. Jahrhunderts adaptiert. »The Wild Duck«, seine extrem kompakte Ibsen-Variation, war es auch, mit der er in den vergangenen Jahren sowohl beim Internationalen Ibsen-Festival in Oslo wie auch bei den Wiener Festwochen sensationelle Erfolge feiern konnte. Bei der »Orestie« geht er nun noch einen Schritt weiter. Den letzten, den versöhnlichen und hoffnungsvollen Teil der Aischylos-Trilogie hat er gestrichen und sich stattdessen der Vorgeschichte dieser Rachetragödie, Euripides’ »Iphigenie in Aulis«, zugewandt.
Bei den Proben zu seiner ersten europäischen Produktion verströmt Stone eine ungeheure Energie. Immer wieder springt er auf und geht ganz nah an die Schauspieler heran, auf die er seine Texte ganz individuell zuschneidet. Es ist fast so, als wollte er jedes Wort, jede Geste und jeden noch so kleinen Ausdruck aufsaugen. Aus dieser ungeheuren Aufmerksamkeit für jedes Detail erwächst, das lassen schon zwei, drei kurze Proben-Szenen erahnen, eine extreme emotionale und psychologische Intensität. Ein Vehikel, um die von Stone beschworene »Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit, von Banalem und Tragischen« offensichtlich werden zu lassen.
»Die Orestie« von Simon Stone nach Aischylos, Premiere am 1. Februar 2014. Weitere Termine: 7., 8. und 12. Februar 2014. www.theater-oberhausen.de