TEXT: ULRICH DEUTER
Aus dem Vorratskeller literarischer Heldengestalten geraten Don Quichote und Sancho Pansa auf den Verfrühstückstisch politischer Gegenwartsinteressen – aus der Unterbühne des Grillo-Theaters heben der 1943 in Lahore geborene, in London lebende politische Aktivist, Romanschriftsteller und Gelegenheitsdramatiker Tariq Ali sowie sein Uraufführungsregisseur Jean-Claude Berutti den Ritter von der traurigen Gestalt und dessen Bauernknappen auf die Spielfläche ihres Auftragsstücks, wo bereits das erste sämtlicher momentanen Menschheitsübel seinen Lauf nimmt: Rassismus. Eine Romafrau wird drangsaliert, ihr Lager angezündet, brennend quert sie die Bühne. Hilfreich schwenken Don und Diener die Löschdecke.
Problem gelöst. Gelöst? So wie vor 400 Jahren Cervantes’ Hidalgo der banal gewordenen neuzeitlichen Wirklichkeit das Glanzgewand seiner angelesenen Ritterehre und Aventiure-Romantik überstülpte, um glorreiche Taten begehen zu können, so zwängt Tariq Ali die komplizierte Jetztzeit in den grobgewirkten Sack seines altlinken Fundamentalismus, um korrekte Gesinnung demonstrieren zu können. Im Verlaufe des anderthalbstündigen Stationendramas begegnen Don Q. die feindlichen Ungeheuer Neoliberalismus und -imperialismus, Rassismus, Islam- und Fremdenfeindlichkeit sowie Neonazismus, kämpft er gegen die Kälte moderner Liebesbeziehungen, vorzeitige Ejakulation und für eine freie, sozialistische Republik der Schwulen.
Nun ist Quichote auch bei Ali kein Held der Arbeiterklasse, sondern – vor allem in der Darstellung Silvia Weiskopfs – ein versponnener Kasper mit Blechbauch. Mal peinlich dozierend (»Audodafé. Vom Lateinischen actus fidei…«), mal Finanzhaie mit dem Lob maurischer Kultur in Spanien beschämend (!), mal Neonazis zu aufgeklärtem Gespräch ermahnend, hat er zwar nirgendwo Erfolg, aber immer Recht. Wobei Ali ein Problem entgangen ist: Die Riesen des originalen Quijote sind in Wirklichkeit Windmühlenflügel; soll das heißen, dass die Riesen seines Quijote redivivus, die Banker, dito eingebildete Bösewichte sind?
Regisseur Berutti ließ sich in einer Zeitung zitieren, Ali seien »die Erfordernisse des Theaters nicht so vertraut«. Wie wahr; darüber hinaus ist seine Sprache klanglos und bildarm. Berutti gelingt es trotz schneller Szenenwechsel, Videoprojektionen und Revue-Elementen nicht, Alis toten Gesinnungsgaul ins Galoppieren zu bringen. Er bleibt ausgestopft wie Quijotes Pferd Rosinante, das in Essen zwar Spinoza liest, aber Attrappe ist.