INTERVIEW: VOLKER K. BELGHAUS
K.WEST: Herr Friebe – warum ein Buch über die Stein-Strategie und das Nichthandeln? Sie hätten es ja konsequenterweise auch ganz lassen können?
FRIEBE: Das stimmt. Ich habe es aber als meine Aufgabe gesehen, dieses Buch in einem allgemeinen Klima der Überbetriebsamkeit, in dem das Sachbuch eine gewisse unheilige Rolle spielt, zu schreiben. Diese Ratgeber-Sachbücher, die uns permanent sagen, dass wir uns neu erfinden sollen, erzeugen ein Klima, in dem sich jeder schlecht fühlt. In diesem Bereich ist es seit einigen Jahren Mode, niedere Lebensformen zum Vorbild zu küren. Angefangen hat das mit der »Mäuse-Strategie« von Spencer Johnson, danach kam das »Pinguin-Prinzip« bis hin zur »Kakerlaken-Strategie«.
K.WEST: Und da kommen Sie mit der Stein-Strategie – was soll das überhaupt sein?
FRIEBE: Innerhalb dieses Genres zum Unorganischen zu kommen und den Stein als Vorbild auszurufen, ist natürlich erstmal frivol; denn Steine haben, nach allem was wir wissen, keinen freien Willen. Daher fällt es ihnen leicht, nicht zu handeln und sich nur zu bewegen, wenn die Kräfte, die auf sie wirken, sie dazu zwingen. Menschen fällt das nicht so leicht, die haben eine Neigung, in unübersichtlichen Situationen aktionistisch zu handeln – man nennt das den »Action Bias«. Wenn wir nicht wissen, was wir machen sollen, dann handeln wir.
Dieser aktionistische Fluchtreflex stammt wahrscheinlich noch aus der Steinzeit. Aber heute, in unserer unübersichtlichen Zivilisation, hat dieses Handeln ohne Nachdenken oft brutale Folgen. Wenn wir etwas lernen müssen, dann: Nicht sofort zu handeln, nur weil wir den Impuls verspüren, sondern lernen, uns zu disziplinieren, zum Stein zu werden und abzuwarten. Steine machen das von Natur aus, Menschen brauchen dafür oft eine Inspiration von außen.
K.WEST: Wo liegt der Unterschied zwischen Nichtstun und Nichthandeln? Ist das auch eine Mentalitätsfrage?
FRIEBE: Nichtstun kann privater Müßiggang und Erholung sein. In einer Entscheidungssituation jedoch kann nur derjenige nicht handeln, der genauso gut handeln könnte. Die Anreizstrukturen in den Hierarchien, in denen wir uns bewegen, sind aber so gestrickt, dass jeder permanent darüber auskunftspflichtig sein muss, was unternommen werden soll. Man sollte in Meetings seinem Chef sagen: »Es ist unübersichtlich, wir wissen gerade nicht, was das Richtige wäre; wir warten erstmal ab.«
Als Steve Jobs Mitte der 90er zu Apple zurückkehrte, als deren wirtschaftliche Situation schlecht war, war seine Antwort auf die Frage nach einer Strategie: »We wait for the next big thing.« Das muss man sich als CEO, der für zigtausend Arbeitsplätze verantwortlich ist, erstmal trauen! Später kam die MP3-Technologie um die Ecke und hat Apple Türen in neue Marktsegmente aufgestoßen.
K.WEST: Sie haben ein kleines Kapitel der Kunstpause gewidmet. Taugt die Stein-Strategie auch als künstlerische Strategie?
FRIEBE: Das ist das Kapitel »Lautes Schweigen«, in dem das Schweigen als eine besondere Unterform des Nicht-Handelns begriffen wird. Wir wissen ja seit Paul Watzlawick, dass wir »nicht nicht kommunizieren« können, aber wie effektiv man mit Schweigen kommunizieren kann, sieht man am Beispiel des Boxers Norbert Grupe. Dieser verweigerte 1969 in einem Live-Interview im Aktuellen Sportstudio die Antworten und provozierte damit einen Eklat im Fernsehen, den es kaum vorher gegeben hat.
Das findet sich auch bei Marcel Duchamp wieder, der einfach aufgehört hat zu produzieren und die Öffentlichkeit damit verrückt gemacht hat, dass nichts mehr von ihm kam. Dafür muss man das Publikum aber erstmal davon überzeugen, dass man etwas zu sagen hätte; nur durch Schweigen ist noch niemand berühmt geworden. Damit kann man vielleicht Sufi-Meister werden, aber kein anerkannter Künstler.
K.WEST: Im Buch heißt es »Für Eintagsfliegen sind Menschen auch so etwas wie Steine«. Ist das also alles eine Frage der Perspektive?
FRIEBE: Genau. …
Lesen Sie weiter in der gedruckten Ausgabe von K.WEST!
Holm Friebe: »Die Stein-Strategie – Von der Kunst, nicht zu handeln«; Carl Hanser Verlag, München 2013, 216 Seiten, 14,90 Euro.
Lesung am 8. Dezember 2013 im Kino des Dortmunder U. Tickets unter: www.heimatdesign.de + www.holmfriebe.de