TEXT: ANDREAS WILINK
Nebenbei erfährt man, dass es Christopher Marlowe war, der »Hamlet« geschrieben hat und mithin der wahre Shakespeare gewesen ist, was als Vermutung seit langem durch die Literaturgeschichte spukt. Wer das bezeugt? Marlowe selbst, der seit Jahr und Tag in Tanger verborgen lebt und zu den Untoten gehört: ein Vampir, von John Hurt mit exquisitem, versonnenem Überdruss dargestellt, der selbst John Bowles in den Schatten stellt.
Fluchtpunkt Tanger: Auch Eve (Tilda Swinton) hat sich in der Kasbah niedergelassen und frönt dort in ihrer Wohnhöhle zwischen alten Schmökern und philosophischen Rezepturen einer erlesenen Spät-Hippie-Existenz, während ihr ewiger Geliebter Adam (Tom Hiddleston) in Detroit, der Stadt von Henry Ford und Motown, seine Isolation zelebriert, alte Gitarren sammelt und in seinem Tonstudio an Aufnahmen bastelt. Zu seiner Ahnengalerie, die als gerahmte Fotos bei ihm hängen, gehören J.S. Bach, Caravaggio, Oscar Wilde, Mark Twain, Kafka und die Olympier der Popkultur.
Die erste Einstellung lässt eine Vinyl-Schallplatte auf dem Plattenteller rotieren und Adam und Eve wie aus dem wirbelnden Rauschgift-Delirium erwachen. Die Grufties sind müde von der Unsterblichkeit. Während Eve an ihrem Apple-Handy spielt, bedient Adam seinen Telefunken-Gerätepark. Aber was sind 50 Jahre Technik-Entwicklung angesichts der Ewigkeit, da Adam doch einst mit Shelley und Byron und den französischen Schwarz-romantikern Umgang pflegte und seither in dieser dekadenten, morbiden und narzisstischen Epoche verharrt.
Jim Jarmusch belebt mit »Only Lovers Left Alive« das Vampirfilm-Genre, indem er es nahezu einbalsamiert, mit nostalgischer Rocker-Musik-Legendenhaftigkeit aus den 50ern mischt, überhaupt wehmütig die Vergangenheit aufruft und das Lob des Gealterten und die Harmonie der Zeitlosigkeit in sanft betäubenden, süß giftigen Rhythmus übersetzt. Diese Vampire (mit Ausnahme von Evas kleiner Schwester Ava, die ein Luder ist und immer noch ihre Eckzähne an die Halsschlagader junger Männer setzt) sind die wahren Menschen, indes die humane Spezies als »Zombies« zu betrachten ist, materiell verkommen, vulgär, laut und aufdringlich. Die Aristokratie des Geistes, gewissermaßen die Blaublütigen, nähren sich kultiviert aus der Flasche oder mittels Plasma aus einem medizinischen Labor, wo es Adam, inkognito als Doktor Faust, von einem korrupten Mitarbeiter erwirbt. Höchstens, dass sie ein Blut-Eis am Stil lutschen. Ein gewisser Fauxpas angesichts ihrer Noblesse.
»Only Lovers Left Alive«; Regie: Jim Jarmusch; Darsteller: Tom Hiddleston, Tilda Swinton, John Hurt, Mia Wasikowska, Anton Yelchin; USA 2013, 122 Min.; Start: 25. Dezember 2013.