TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Frei nach René Magritte lässt sich sagen: Das ist kein Käse. Er sieht nur so aus. Seine Farbpalette von hellem Gelb-Weiß (Allgäuer) bis hin zu schrillem Orange (Chester/Toast) lässt zwar auf einen milcherzeugten Butterbrotbelag schließen, doch ihm fehlt alles Natürliche wie die runde Laib-Form oder eingeschlossene Luftlöcher. Es sind die inneren Werte der Scheiblette, die bestätigen – ja, es ist Käse. Jedenfalls zu 49 Prozent, da Schmelzkäse wie die Scheiblette nach der deutschen Käseverordnung zu mindestens 50 Prozent der Trockenmasse aus Käse bestehen muss. Der Rest der Zutaten lässt leicht schaudern: »Magermilch, Butter, Magermilchpulver, Schmelzsalze: Polyphosphate, Natriumphosphate, Natriumcitrate, Süßmolkenpulver, Speisesalz, Farbstoff: Paprikaextrakt«.
Der Schweizer Industrielle Walter begann 1911 mit der Produktion von Schmelzkäse, 1922 führten die Gebrüder Wiedemann aus Wangen im Allgäu ihn unter der Marke »Adler« in Deutschland ein. Die bundesdeutschen Wirtschaftswunderküchen rockte er aber erst ab 1956 in Form der quadratischen Scheiblette der Firma Kraft Foods. Als unverzichtbarer Bestandteil des Toast Hawaii prägte die Scheiblette eine kulinarische Epoche. Der Fernsehkoch Clemens Wilmenrod verbreitete diese exotische Konservendosen-Kreation unter den Zuschauern. Eine Sinfonie des Künstlichen – eine Scheibe Toastbrot aus der Tüte, belegt mit Kochschinken und einer perfekt kreisrund gestanzten Ananas-Scheibe aus der Dose. Darüber legte sich eine zähe, dampfende Scheiblette, die meist von einer Konserven-Kirsche gekrönt wurde, deren Farbe ins ausgewaschene Pink changierte. Sie schmeckte nach vielerlei, nur nicht nach Kirsche.
Mit der Scheiblette gelang die Quadratur des Käses. Abgestimmt auf industrielle Herstellungsprozesse, entstand ein genormtes Nahrungsmittel, das mit seinen acht mal acht Zentimetern perfekt auf eine Scheibe Toast passte. Damit teilt die Scheiblette das Schicksal der Seelachse, die als Fischstäbchen auf Packungsgröße zurechtgesägt werden.
Der Eindruck der Künstlichkeit verstärkt sich noch, wenn man sich die Mühe macht, eine Packung Scheibletten komplett zu öffnen. Danach sieht es in der Küche wie auf einem Recyclinghof aus. Damit die Schmelzkäsemasse nicht durch Temperaturschwankungen aneinanderklebt oder komplett die Form verliert, ist jede einzelne Scheiblette in transparente Kunststofffolie eingewickelt. Diese äußerst puristische Art der Verpackung wird nur von Mindesthaltbarkeitsdaten oder kleinen Pfeilen, die auf der Lasche Hinweise zum Öffnen geben, gestört. Diese Zahlen sehen immer noch so aus, als seien sie mit den klapprigen Nadeldruckern der 80er Jahre aufgetragen worden. Auch die Beschriftung ist gleichbleibend genormt – schade eigentlich, denn sonst könnte man mit den Scheibletten prima Memory spielen.
Die Scheiblette hat sich ihr Plastik-Image über die Jahrzehnte redlich verdient und trotzt dennoch allen kulinarischen Trends; sie liegt noch immer etwas verschämt und völlig unbeeindruckt von Bio-Siegeln und gesunder Ernährung in den Discounterregalen. Die Düsseldorfer Foto-grafen Katja Stuke und Oliver Sieber haben nicht nur die Scheiblette früh aus ihrem Schattendasein befreit. Im Mai 2000 präsentierten sie in einem ehemaligen Kiosk die vierte Ausgabe ihres Foto-Magazins »Frau Böhm« mit dem Schwerpunkt »Schöner Kochen«. Neben dem eindrucksvollen Foto einer überdimensionierten Scheiblette zeigten sie einen weiteren Höhepunkt des deutschen Kunststoffschaffens – eingeschweißte Mortadella.