TEXT: REGINE MÜLLER
16 Jahre lang hat Stefan Soltesz das Aalto-Theater als Intendant und GMD mit unerbittlichem Qualitätswillen in die erste Reihe der Musiktheater geführt. Zur Eröffnung knüpft sein Intendanten-Nachfolger Hein Mulders an die glanzvolle Verdi-Tradition des Hauses an. Tomáš Netopil ist als Dirigentenpersönlichkeit so ziemlich das Gegenteil von Soltesz, der auf muskulöse Brillanz bei maximaler Transparenz und drängende Tempi setzte. Netopil bevorzugt weichere Töne, wählt nachdenkliche, oft sehr ruhige Tempi. Er schlägt elegant, geschmeidig, punktgenau; seine Zeichensprache ist schön anzusehen. Aus Verdis kontrastreicher, zwischen Totenbleiche und gellendem Waffengerassel changierender Partitur holt er ungehörte Schattierungen heraus, lässt es raunen und wispern und meidet allzu konsequent jeden Lärm. Das hat enorme Delikatesse, gerade in den Orchesterpassagen spielen die Bläser herrlich befreit auf; auch der Chor klingt schlackenlos geradlinig wie ein Originalklang-Ensemble. Das Bestialische aber und Vulgäre, das bei Verdi dramaturgisch notwendig ist, kommt allerdings zu kurz. So wird aus Verdis schwärzester Oper ein schaumgebremstes Kammerspiel in impressionistisch lockenden Farben.
Dieses Missverständnis, das produktiv sein könnte, teilt Netopil leider mit Regisseur David Hermann. Beides addiert sich zu braver Gediegenheit, der es an Fallhöhe mangelt. Zumal die altmeisterlich verzwirbelte Ästhetik (Ausstattung: Christof Hetzer) trotz des großzügigen Verteilens von Theaterblut mehr Spukmärchen-Zauber als Grauen verbreitet. Dabei ist die Ausgangsidee schlüssig. Am Bühnenrand befindet sich ein frisches Kindergrab, auf das während der Ouvertüre Macbeth und seine Lady (noch unerkannt) Lilien legen. Hermann versteht also die Kinderlosigkeit des Paares als Ur-Tragödie, aus der die Mordlust wächst. Gleiches hatte Luk Perceval in seiner Shakespeare-Inszenierung für die Ruhrtriennale gezeigt. Hermann erzählt auf stets dunkler Bühne, auf der eine Brücke einen Abgrund überwölbt, das Drama sehr konventionell. Zumal die international gecasteten Sänger, abgesehen von wenigen starken Momenten, weder darstellerisch noch stimmlich den Verdi-Wahnsinn beglaubigen: Gun-Brit Barkmins Lady ist viel zu leichtgewichtig, Tommi Hakalas Macbeth findet erst spät seine Form, bloß Liang Li zeigt als Banquo echte Verdi-Qualitäten. Mehr Mut zum Risiko!