TEXT: SASCHA WESTPHAL
So recht weiß Brecht nicht, was er mit sich und seinem neuen Leben anfangen soll. Schließlich ist er nur als etwa ein Meter große Puppe, geführt von der Theatermacherin Suse Wächter, von den Toten zurückgekommen. Offiziell liegt er noch in seinem Grab; und die Rechte an seinen Stücken gehören weiterhin den Erben. Er ist ausgeschlossen, und das stimmt diese wunderbar lebensechte Puppe mit ihrem etwas spöttischen Blick, der alles distanziert kritisch beäugt, nostalgisch. Also lässt sich Brecht von einer seiner vier Musen aus dem legendären Band »Theaterarbeit«, der seine Zeit am Berliner Ensemble dokumentiert, vorlesen. Theaterarbeit ist auch das Stichwort für den von Wächter konzipierten und inszenierten Abend. Constanze Kümmel hat ein riesiges, mit Flachbildschirm-TV und allem Komfort ausgestattetes Bett auf die Vorderbühne gestellt. Hier kann die Brecht-Puppe mit ihren Musen, von denen eine unschwer als Mann zu erkennen ist, über das Theater damals und heute nachdenken. Wenn er schon keine Rechte mehr hat, kann er wenigstens seine Theorien in der Praxis überprüfen.
Wie aus der Pistole geschossen referieren Susanne Burkhard, Angela Falkenhan, Torsten Bauer und die Puppenspielerin Tine Hagemann Brechts Ideen zum Verfremdungseffekt. In der Theorie sind sie wahre Musterschüler. Doch in der Realität erweist sich Brechts neues, spielfreudiges Oberhausener Ensemble als erstaunlich widerspenstig. Ständig verweigert das Quartett der Dichter-Puppe, nach deren Anweisungen es tanzt oder zumindest denken soll, den Gehorsam. Das gehört zur Aufführung dazu, die mit dem Theater wie mit Puppen, mit der Pop-Kultur wie mit dem Nachlass von BB umspringt. Ihren Höhepunkt erreicht die selbst wieder zum V-Effekt werdende Kritik am Verfremdungseffekt, wenn dem Darsteller Torsten Bauer der Kragen platzt und er in einer sich hysterisch überschlagenden Tirade mit allem und jedem im heutigen Theater abrechnet.